Wege des Herzens
Doktor.«
»Zu Hause bekomme ich so etwas nie zu hören«, erwiderte Clara seufzend. »Dort halten sie mich alle für übergeschnappt.«
Adi hatte ihren Freund Gerry zum Essen mitgebracht. Sie saßen am Küchentisch und aßen gerade Suppe und Salat, als Clara nach Hause kam. Adi stand auf, um ihrer Mutter etwas zu essen zu holen, aber Clara winkte ab.
»Nur einen Kaffee, mein Schatz. Ich habe am Nachmittag schon gesündigt. Hamburger und Pommes.«
Gerry war die Missbilligung deutlich anzusehen. »Fleisch! Sehr schlecht. Wirklich sehr schlecht.«
Adi schien überrascht. »Aber das ist sonst nicht deine Art, Mam.«
»Nein, aber momentan ist nichts normal«, entgegnete Clara und nahm ihren Kaffee mit nach oben, wo sie an Lindas Tür klopfte.
»Herein.« Linda lag im Bett, eine Schönheitsmaske auf dem Gesicht. Sie sah aus wie ein Clown oder wie ein Kind, das sich für eine Party als Gespenst verkleidet hatte.
»Tut mir leid, ich dachte nicht, dass du um diese Zeit schon im Bett bist«, sagte Clara.
»Nein, kein Problem, die Maske muss sowieso gleich runter. Ich bin gegen elf Uhr verabredet. Heute Abend wird ein neuer Club eröffnet, und ich will strahlend schön sein.«
Linda schien zu erwarten, dass Clara ihr einen Vorwurf machen oder auf die unchristliche Uhrzeit hinweisen würde. Ganz sicher aber würde ihre Mutter sich eine Bemerkung über mangelnden Studieneifer nicht verkneifen können. Doch bei Clara konnte man nie wissen.
»Wann wirst du eigentlich mal anfangen, dein eigenes Geld zu verdienen, Linda?«, fragte sie leichthin.
»Ich wusste doch, dass du anfangen würdest, an mir herumzunörgeln.« Linda verzog genervt das Gesicht unter der Maske.
»Wer nörgelt denn? Das ist eine einfache Frage.«
»Na ja, in ein paar Jahren, schätze ich«, erwiderte Linda missmutig.
»Machst du nächstes Jahr nicht deinen Abschluss?«
»Mutter,
worum
geht es dir? Willst du das Zimmer hier vermieten, oder was?«
»Nein, ich bin ganz froh, dass wir alle unter einem Dach wohnen. Nur, ich habe mich heute mit ein paar Handwerkern, mit Elektrikern und Installateuren unterhalten …«
»Und jetzt willst du alles hinschmeißen und in einer Kommune mit ihnen leben«, fiel Linda ihr ins Wort.
Clara ignorierte die dumme Bemerkung. »Und dabei habe ich wieder mal daran gedacht, hier ein zweites Bad einbauen zu lassen. Aber dein warmherziger, großzügiger Vater wird uns bei dem Projekt wohl kaum finanziell unter die Arme greifen, und da habe ich mich gefragt, woher ich das Geld dafür nehmen soll. Adi könnte einen kleinen Teil beisteuern, und eigentlich habe ich gehofft, dass du nächstes Jahr in der Lage wärst, dich ebenfalls daran zu beteiligen.«
»Ich habe eher daran gedacht, ein Jahr Auszeit zu nehmen, bevor ich endgültig zu arbeiten anfange.«
»Eine Auszeit von was genau?«, fragte Clara.
»Lass es nicht an mir aus, wenn du einen schlechten Tag hattest«, brauste Linda auf.
»Ich hatte keinen schlechten Tag, im Gegenteil, ich hatte sogar einen sehr guten Tag. Ich habe heute eine junge Frau in deinem Alter eingestellt, die von neun Uhr morgens bis abends um sieben Uhr ununterbrochen geschuftet hat. Ich habe sie gebeten, morgen wiederzukommen, und sie hat geweint vor Dankbarkeit.«
»Ich möchte wetten, dass sie keine Irin ist«, sagte Linda.
»Eines Tages wird sie es sein, aber im Moment ist sie noch Polin.«
»Siehst du!«, meinte Linda triumphierend.
»Oh, Linda, halt den Mund. Du hast doch keinen blassen Schimmer vom Arbeiten, schwingst aber große Reden über ein Sabbatjahr und so. Du weißt doch gar nicht, wie glücklich du dich schätzen kannst.«
»So glücklich nun auch wieder nicht, ganz und gar nicht. Meine Eltern hassen sich. Mein Vater wird eine Frau heiraten, die genauso alt wie ich ist. Überleg mal, wie ich mich dabei fühle. Meine Mutter ist ein Workaholic und raubt mir den letzten Nerv, weil ich nicht wie ein Idiot schufte, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen,
obwohl
wir uns darauf geeinigt haben, dass ich studieren werde. Du stürmst einfach hier rein und lädst deinen Scheiß bei mir ab, während ich hier liege und keinem was Böses tue. Wenn du mir schon deine polnischen Sklavinnen als Vorbilder hinstellen musst, kannst du auch gleich noch ein Klagelied über die hungernden Waisenkinder in China, Indien oder Afrika anstimmen, oder?«
»Du bist wirklich ein schreckliches Mädchen, Linda«, rief Clara und schlug die Tür zum Zimmer ihrer Tochter hinter sich zu.
»Was ist
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