Wege des Herzens

lang schien der alte Mann in Gedanken weit weg zu sein, aber bald hellte sich seine Miene wieder auf.
    »Ich habe eine Idee – mein Bruder Yorghis kommt heute Abend zum Essen, sobald er die Polizeistation zugesperrt hat. Vielleicht mögt ihr ja kommen und ihn kennenlernen?«
    »Yorghis?«
    »Der Polizeichef?«
    »Ihr Bruder?« Die Zwillinge hörten sich an wie zwei international gesuchte Verbrecher auf der Flucht.
    Andreas schaute befremdet von Maud zu Simon. »Ja, er ist auch allein wie ich, und wir essen oft zusammen und schauen hinunter auf die Lichter der Stadt.«
    »Oh, bitte, Andreas, wir haben doch nichts angestellt!«
    »Den Obststand, den haben wir doch nur aus Versehen umgeworfen, aber wir haben alles wieder aufgesammelt,
stundenlang
, und alle Orangen abgestaubt. Der Mann war sehr zufrieden mit uns …«
    »… und als wir im Hafen beim Schwimmen waren, da haben wir doch nicht gewusst, dass es an der Stelle wegen der Boote verboten ist, und wir haben uns immer wieder entschuldigt, und der Hafenmeister hat
tipota
zu uns gesagt, was so viel heißt, glaube ich, wie ›macht nichts‹ …«, beeilte Simon sich zu erklären.
    »Bitte, sagen Sie Yorghis nichts davon«, flehte Maud.
    »Wir wollen nicht, dass er das erfährt«, fügte Simon hinzu.
    »Fiona würde uns umbringen. Sie hat gesagt, sie prügelt uns grün und blau mit einem Stock!« Mauds Augen weiteten sich vor Schreck.
    »Fiona hat das gesagt?
Fiona?
« Andreas schien es nicht begreifen zu können.
    »Ja, kennen Sie sie denn?«
    »Natürlich … sie hat einmal einen Sommer hier verbracht, aber dabei kam sie mir nicht so vor, als ob sie jemanden grün und blau prügeln könnte. Eher im Gegenteil …«
    »Echt?« Maud wirkte sehr überrascht. »Mir macht sie immer große Angst.«
    »Und Declan, das ist der Sohn von Mutties Freund, tut auch immer alles, damit sie zufrieden ist.«
    Andreas hatte schon lange den Überblick über die unzähligen Personen verloren, die im Gespräch mit den Zwillingen auftauchten. »Also – Yorghis kommt so gegen acht Uhr«, sagte er und kehrte zu einem Thema zurück, von dem er etwas verstand.
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht …«
    »Uns wäre es wirklich lieber …«
    »Wir werden in Zukunft auch besser aufpassen …«
    »Was Obststände und Hafen angeht.«
    »Ich habe keine Ahnung, was ihr mir damit sagen wollt«, erwiderte Andreas kopfschüttelnd. »Seid einfach um acht Uhr in der Taverne.«
    Liebe Fiona,
    dies nur zur Erklärung, wie wir gestern Abend Deinen Freund Yorghis, den Polizeichef, sozusagen offiziell kennengelernt haben. Wir möchten noch einmal betonen, dass es ein vollkommen harmloses Treffen und geselliges Beisammensein war. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass er der Bruder von Andreas, dem Wirt der Taverne, ist. Wir haben gestern Abend dort gegessen, und Yorghis war sehr nett und hat sich überhaupt nicht für den Vorfall mit dem Obststand und den Orangen interessiert. Der Hafenmeister hat ihm auch nicht erzählt, dass wir an der falschen Stelle geschwommen sind, und deshalb können wir Dir mitteilen, dass es hier keinerlei Probleme gibt.
    Wir verbringen hier eine wunderbare Zeit, und wir können Dir nicht genug danken dafür, dass Du uns an diesen schönen Ort geschickt hast. Man kann kaum glauben, dass das Hühnerhaus tatsächlich mal ein Hühnerstall war – es hat ein Fenster im Dach, und an den Wänden hängen Bilder und Keramikteller. Die Hühner müssen es dort sehr bequem gehabt haben.
    Die Leute hier sagen, dass Du sehr ruhig gewesen bist, als Du damals hier warst. Aber wir verändern uns alle. Und alle freuen sich über Deine Verlobung.
    Also, Du musst Dir keine Sorgen machen. Unsere Begegnung mit Yorghis war rein gesellschaftlicher Natur, und nach dem Essen hat er sogar für uns gesungen. Und das hätte er bestimmt nicht getan, wenn etwas nicht in Ordnung gewesen wäre.
    Vonni ist geschäftlich nach England geflogen, so dass wir uns um ihren Laden kümmern. Maria, eine junge Witwe, kommt jeden Tag, um mit den Leuten richtiges Griechisch zu sprechen, aber hauptsächlich sind jetzt wir dafür verantwortlich.
    Wir danken Dir noch mal von Herzen,
    liebe Grüße,
    Simon und Maud
    Als Fiona den Brief las, stand sie zunächst vor einem Rätsel, da sie komplett vergessen hatte, dass sie den Zwillingen im Falle ungebührlichen Verhaltens Prügel und den Zorn des Polizeichefs von Aghia Anna angedroht hatte. Und wie fast jeder Mensch, der mit den Zwillingen in Kontakt kam, ergriff sie das