Wege im Sand
Gefühl, das ich habe …«
»Ja? Bitte sprechen Sie weiter.«
»Ich denke, meine Nichte wird es bedauern, wenn Sie gehen. Nell ebenfalls, mit Sicherheit. Und … Sie auch.«
Jack hätte ihr am liebsten gesagt, dass sie keine Ahnung hatte, wie sehr. Er räusperte sich. »Die Entscheidung lässt sich nicht mehr rückgängig machen, ich habe einen Vertrag unterschrieben.«
»Das Gute an Verträgen ist, dass es immer eine Möglichkeit gibt, aus ihnen herauszukommen. Mag sein, dass damit finanzielle Einbußen verbunden sind, aber man gewinnt dafür in Bereichen, die wirklich zählen.«
»Und welche wären das?«
»Jetzt machen Sie aber mal einen Punkt, Mr. Kilvert.« Aida zwinkerte ihm zu. »Sie wären nicht hier, um das Land zu vermessen und mein Schloss zu retten, wenn Sie das nicht genau wüssten.«
Jack trank seinen Tee aus und dachte an Stevies Geschichte von dem magischen Schloss und der weisen Tante. Er schwieg, weil er nicht laut aussprechen wollte, dass er es wusste, dass er es längst wusste.
21. Kapitel
M adeleine saß in ihrem Wagen, auf dem Parkplatz von Emerson Market, unmittelbar vor dem Eisenbahnviadukt, dem Eingangstor von Hubbard’s Point. Sie war nervös, aber ihr Entschluss stand fest. Während sie wartete, waren zwei Züge an ihr vorbeigefahren: der eine nach New York, der andere nach Boston. Als sie und ihr Bruder klein waren, hatten sie die Züge gezählt.
Nach einer Weile entdeckte sie endlich, worauf sie gewartet hatte. Jacks Kombi kam die Shore Road entlang, fuhr unter der Brücke hindurch, in den Ort hinein. Madeleine hatte es vor zwei Tagen in einer Art Trockenübung herausgefunden. Sie war von Providence hergefahren und um die Cottages rund um den Tennisplatz gekurvt, wo ihr Bruder laut Stevie wohnte, in der Hoffnung, ihm zufällig zu begegnen. Doch als sie sah, wie Nell und er in den Wagen gestiegen und davongebraust waren, hatte sie den Mut verloren und war zurück nach Hause gefahren.
Heute wollte sie einen zweiten Anlauf wagen und war beherzter als je zuvor. War Nell bei ihm? Madeleine verrenkte sich den Hals – nein, der Beifahrersitz war leer.
Ihr Herz klopfte so heftig, als hätte sie einen Marathonlauf hinter sich. Mit Sicherheit war ihr Gesicht feuerrot – ihre Lippen fühlten sich trocken an, und ihre Hände klebten am Lenkrad.
Sie hatte niemanden in ihren Plan eingeweiht – weder Chris noch Dr. Mallory oder Stevie. Ihre Therapie machte gute Fortschritte; schon nach wenigen Sitzungen war es ihr besser gegangen. Alles war klarer geworden – wenn Jack ihr nur eine Chance gäbe, dann könnte sie mit ihm reden. Wenn sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenübersaß, konnte sie darauf vertrauen, dass ihr die Liebe, die sie seit frühester Kindheit miteinander verband, schon die richtigen Worte eingab. Sie hatte Stevie absichtlich nicht von ihrem Vorhaben in Kenntnis gesetzt; obwohl sie wusste, dass Stevie ihren Wunsch nach einer Aussprache unterstützen würde, musste sie diesen Weg alleine gehen.
Als sie blitzschnell hinter Jacks Wagen auf die Fahrbahn ausscherte, hätte sie ihn um ein Haar von hinten gerammt. Sie musste ihre Fassung wiedergewinnen – sie hatte nicht damit gerechnet, dermaßen aufgewühlt zu sein. Sich in der Praxis ihrer Therapeutin den Kummer von der Seele zu reden war eine Sache. Dort hatte sie nichts zu befürchten – sie befand sich in einem geschützten Raum, fern von der Realität einer echten Konfrontation. Doch hier am Strand konnte alles Mögliche geschehen.
Jack sah in den Rückspiegel.
Ihre Blicken trafen sich.
Wie würde er reagieren? Madeleine umklammerte das Lenkrad und bog in die Einfahrt eines Strandhauses ein, direkt hinter ihrem Bruder.
Jack war unfähig, sich zu rühren. Er parkte den Wagen in der sandigen Einfahrt und blickte abermals in den Rückspiegel, geradewegs in die Augen seiner Schwester. Die Blaupausen und Pläne des Schlosses lagen auf dem Beifahrersitz. Er hatte an Aidas kluge Worte gedacht und an Stevies Bitte, er möge bleiben. Er hatte vorgehabt, schnurstracks zu Stevie zu gehen und ihr zu sagen, dass er Ivan Romanov gleich am nächsten Morgen anrufen wolle – Vertrag hin oder her, die Schottland-Pläne waren überholt. Eine weitere Rolle bei dieser Entscheidung spielte auch das Bedürfnis, sich mit seiner Schwester auszusöhnen.
Doch sie so unverhofft vor sich zu sehen war ein Schock. Benommen griff er nach der Türklinke, stieß die Tür auf. Madeleine war bereits ausgestiegen. Sie lehnte an
Weitere Kostenlose Bücher