Wege im Sand
das höchste Glück auf Erden sah. Andere Aspekte ihrer Persönlichkeit waren ihm allem Anschein nach verborgen geblieben.
Als er darauf aufmerksam wurde, war sie bereits voll in ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit aufgegangen. Die wenige Freizeit, die ihnen blieb, hatten sie mit allen möglichen Aktivitäten, nur nicht miteinander verbracht.
Jack dachte an die verhängnisvolle letzte Reise zurück, als Emma Madeleine begleitet hatte. Er wusste, dass seine Schwester helfen wollte, die Ehe zu kitten – sie hatte mit Chris die Weihnachtstage bei ihnen verlebt und sich über Emmas kühle, distanzierte Art gewundert. Mitten während des Festessens hatte das Telefon geläutet – erst nach ihrem Tod hatte Jack erfahren, von wem der Anruf stammte. Emma nahm ab – während er den Truthahn tranchierte und auftrug – und kehrte erst an den Tisch zurück, als alle bereits bei dem Nachschlag waren. Ihre Augen waren rot und verquollen, und Nell hatte ihre Gabel aus der Hand gelegt und gefragt: »Warum hast du geweint, Mommy?«
Emma hatte etwas über eine Wimper im Auge gemurmelt …
Als Madeleine anrief, ungefähr einen Monat später, um Emma zu besagter Wochenendreise im Juni einzuladen, eine reine »Frauenrunde« anlässlich ihres Geburtstags, war Jack Feuer und Flamme gewesen. Wenn jemand Emma dazu bringen konnte, über ihre Probleme zu sprechen, dann Maddie. Er hatte einen Moment überlegt, ob er Maddie gleich am Telefon fragen sollte, was mit Emma los war – vielleicht hatte sie ihr ja etwas erzählt. Aber er ließ es bleiben.
Emma war nicht sicher, ob sie mitfahren sollte. Sie liebte St. Simon’s Island und sehnte sich nach dem Strand – einer der Nachteile des Lebens in Atlanta war die lange Fahrt zur Atlantikküste. Aber sie zögerte, Nell allein zu lassen. Nicht Jack – Nell. Er drängte sie, ermutigte sie, Madeleine zu begleiten und sich zu amüsieren.
Nicht ganz selbstlos hatte er gedacht, dass sich der Aufenthalt am Meer vielleicht als Auszeit entpuppen würde, die ihr gut tat; vielleicht wäre sie danach wieder ganz die Alte. Würde ihn berühren, ihn begehren; würde aufhören, so zu tun, als schliefe sie, sobald er sich ihr näherte. In diesen Monaten nach Weihnachten hatte er begonnen, E-Mails mit Laurie in Cleveland auszutauschen; er war einsam in seinem eigenen Haus und hasste sich dafür, wie sehr er sich über die Meldung »Sie haben Post« freute.
Und dann, in der Woche vor der Reise mit Maddie, hatten sie die größte Auseinandersetzung während ihrer ganzen Ehe – Auslöser war Dixon, und die Zeit, die sie in dem Gefängnis verbrachte. In Wirklichkeit ging es jedoch um ihre Beziehung, die nicht mehr liebevoll und partnerschaftlich war, sondern nur noch eine hasserfüllte Scharade – keiner von beiden schien glücklich, keiner von beiden fähig, sich zu ändern.
Jack setzte die Ortsbegehung mit Jim fort, entdeckte weitere Grenzmarkierungen und Pfosten. Er hatte seit langem nicht mehr so intensiv über sein Leben nachgedacht. Vögel flogen über ihnen, durch ihre Aktivitäten aus dem Gebüsch aufgescheucht. Jim rief ihm die Messwerte zu, Jack schrieb sie in sein Notizbuch. Licht und Schatten wechselten in den Lichtungen und Wäldern. Jack verlor sich in alten Erinnerungen.
Der Gedanke an den Unfall war noch immer eine Qual. Doch die Zeit unmittelbar danach war in seinem Gedächtnis haften geblieben – als Emma in der Klinik lag, bevor keine Hoffnung mehr auf Rettung bestand, als er neben ihrem Bett gekniet und gebetet hatte. Er hatte Gott angefleht, sie am Leben zu lassen, sie wieder gesund zu machen. Und als Gott ihn nicht erhört hatte, betete er um die Möglichkeit, Emmas Andenken zu bewahren, so wie er sie in Erinnerung behalten wollte – mit all der Liebe, die sie ihm am Anfang entgegengebracht hatte.
Vielleicht hatte er deshalb auf Anhieb einen so guten Draht zu Aida gehabt – hatte sie schon bei der ersten Begegnung ins Herz geschlossen. Weil sie das Andenken an die große Liebe bewahren wollte, die sie hier mit ihrem Mann erlebt hatte. Jacks Herz zog sich krampfhaft zusammen. Er hörte, wie Jim ihm eine weitere Zahl zurief, und notierte sie. Seine Kehle brannte.
Weil er wusste, dass er alles in seiner Macht Stehende tun würde, um dieser Frau zu helfen, das Schloss und die Ländereien zu bewahren, die ihr Mann über alles geliebt hatte. Und weil er jeden Ort, an dem er mit Emma gelebt hatte, und die Lüge, zu der ihr gemeinsames Leben geworden war, so schnell und so
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