Wege im Sand
Schauspieler, aber er hätte auch als Fotograf Karriere machen können. Das ist er …«
Jack folgte ihrem Blick zu einer Reihe von Fotos von einem großen, beleibten Mann mit kühner Nase, kräftigem Kinn und eindringlichen schwarzen Augen. Auf manchen im Kostüm des Jago oder Falstaff abgebildet, schien er sich in beiden Rollen gleichermaßen heimisch zu fühlen – dynamisch, ausdrucksstark, ein Idol, an das kein Sterblicher heranreichte. Die Ähnlichkeit mit Henry war unverkennbar; kein Wunder, dass der Sohn eines solchen Mannes Marineoffizier gewesen war, dachte Jack.
»Henrys Vater«, sagte Jack.
»Ja. Sie hatten eine innige Beziehung, taten sich aber schwer, es zu zeigen. Ich bin überzeugt, dass Henry in jeder Schlacht seinem Vater zuliebe kämpfte.«
»Er will heiraten?«
»Ja. Wurde ja auch Zeit. Die Ehe seiner Eltern war ziemlich schwierig – seine Mutter war verletzt und machte ihrem Sohn gegenüber nie einen Hehl daraus. Das war ihr gutes Recht, aber es schadete ihm. Er hatte Angst, einen Menschen zu lieben, ihn zu verletzen.«
Jack schloss die Augen, dachte daran, wie schmerzlich und verworren die meisten Beziehungen letztlich wurden.
»Er ist so …«, Aidas Augen waren mit einem Mal verhangen, »… so anders als Stevie in dieser Hinsicht – und trotzdem genau wie sie.«
»Was heißt das?«
»Wie ich bereits sagte, Stevies Eltern führten eine Bilderbuchehe. Was selten genug ist. Mein Bruder war ein Dichter, ruhig, sanft und verständnisvoll. Meine Schwägerin war Malerin und Kunsthistorikerin … Sie waren ›Seelengefährten‹, um diesen schrecklich abgenutzten Ausdruck zu gebrauchen. Und Stevies Vorbild. Sie glaubt fest an die große Liebe und sehnt sich nach einer harmonischen Beziehung, wie ihre Eltern sie hatten.«
»Vielleicht gibt es die nicht«, erwiderte Jack, erstaunt über die Bitterkeit, die er in seinem Inneren verspürte.
»Oh doch.«
»Sprechen Sie von Van und Ihnen?«
Sie nickte. »Es war nicht der erste Anlauf, für keinen von uns beiden. Jeder macht Fehler, verletzt andere. Das ist tragisch, das Leben aller Beteiligten wird dadurch in Mitleidenschaft gezogen. Aber es gibt sie, die große Liebe – sie ist real. Du findest sie irgendwann, oder sie findet dich … auch ohne dein Zutun.«
»Deshalb möchten Sie dieses Anwesen unbedingt erhalten, richtig? Um das Andenken an die Liebe zu bewahren, die Sie für Van empfunden haben.«
»Ja, und ich liebe ihn immer noch. Ich kann Ihnen gar nicht genug für Ihre Hilfe danken. Ich habe mich mit meinem Anwalt in Verbindung gesetzt, er wird alles für die Gründung eines Immobilientrusts vorbereiten. Im Oktober ist eine große Bilderausstellung geplant, die Erlöse fließen in voller Höhe als Startkapitel in den Trust. Er wird den Namen ›Van von Lichen Naturschutz- und Kunstzentrum‹ erhalten. Die Nachwuchskünstler von Black Hall werden hellauf begeistert sein. Van war ein bekannter Kunstmäzen und hat hier im Schloss so manche wilde Nacht mit den Impressionisten aus Connecticut verbracht.«
»Aber Ihre Stilrichtung ist das nicht, oder? Ich meine, der Impressionismus?« Es war Jack peinlich, nicht genug über Malerei zu wissen, um den Unterschied zu erkennen.
»Ich bitte Sie! Mein lieber Junge, ich bin schließlich nicht von gestern, sondern aufgeschlossen für neue Impulse. Obwohl es einige Jahrzehnte her ist, seit der abstrakte Expressionismus als Novum galt … aber egal …«
»Danke, Aida. Sobald mein Abschlussbericht fertig ist, schicke ich Ihnen alles zu, was ich an Unterlagen habe. Noch vor meiner Abreise nach Schottland.«
»Stevie erwähnte, dass Sie dorthin umsiedeln wollen. Ich muss gestehen … das finde ich sehr schade.«
»Oh, ich werde mich auf dem Laufenden halten, was Ihr Projekt betrifft, das geht auch von dort aus. Ihr Anwalt kann mich jederzeit anrufen, falls es noch Unklarheiten gibt, oder Ideen, über die er sprechen möchte …«
»Jack, das ist nicht der Grund. Er hat nichts mit dem Schloss oder dem Hügel zu tun.«
»Womit dann?«
Aida schwieg. Sie trank einen Schluck und musterte ihn mit ihren ausdrucksstarken, dunkel umrandeten Augen über den Rand ihres Bechers hinweg. Ihm war, als sei sie in der Lage, bis auf den Grund seines Herzens zu blicken.
»Es ist nicht sehr lange her, seit wir uns das erste Mal begegnet sind«, sagte sie nach einer Weile. »Trotzdem kommt es mir vor, als würden wir uns schon ewig kennen. Stevie hat mir ein wenig erzählt … es ist nur so ein
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