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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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auf ein Lächeln, ein Stirnrunzeln oder irgendein anderes Zeichen des Einverständnisses von seiner Tochter wartete, dass er sie hier mit ihrer neuen Freundin allein lassen konnte.
    Peggy ergriff ihre Hand. »Ich möchte, dass du meine Partnerin beim Staffellauf bist. Wir beide gehören zusammen, einverstanden, Laurel?«
    »Prima, Peggy, Nell. Dann kann’s ja losgehen – stellt euch bitte hier auf dem festen Sand hintereinander auf.«
    Peggys Hand haltend, warf Nell ihrem Vater einen letzten Blick zu. Es war kein richtiges Lächeln, aber beinahe. Er sah ihre Mutter vor sich, wenn er in ihre Augen schaute. Als Emma im Sterben lag, bewusstlos in ihrem Krankenhausbett, hatte Jack ihr Gesicht mit den Händen umfasst und sie angefleht, ihn nicht zu verlassen. Sie hatte seine Bitte erfüllt, erschien ihm jeden Tag aufs Neue, in Gestalt ihrer gemeinsamen Tochter.
    Jack überließ Nell dem Freizeitprogramm von Hubbard’s Point und machte einen Strandspaziergang, in Richtung des Hauses, in dem die Freundin seiner Frau damals gelebt hatte. Er blickte zu den Cottages auf dem Felsenriff empor, die halb hinter den Kiefern verborgen waren. Er versuchte sich zu erinnern, welches es war. Nell hatte es gefunden.
    Nell war wie ein Magnet, der jede noch so kleine Einzelheit aus dem Leben ihrer Mutter anzog. Schon vor Emmas Tod hatte sie ihre Tante ständig gedrängt, ihr Geschichten von früher zu erzählen, Erinnerungen, Geheimnisse und Lieblingsmelodien eingeschlossen. Madeleine hatte Nell die Harmonie zu »Lemon Tree« beigebracht, die Stimme, die Emma früher zu übernehmen pflegte. Nell trällerte das Lied bei jeder Gelegenheit vor sich hin – in der Badewanne, im Auto, als wartete sie darauf, dass irgendwann die Stimme einer erwachsenen Frau aus dem Nichts in den Gesang einstimmte.
    Vielleicht war das ihr Beweggrund, bei Stevie Moore aufzukreuzen. Jack hatte den Namen mit Sicherheit nie zuvor erwähnt – er wäre ihm vermutlich nicht einmal eingefallen. Sie gehörte zu den Freundinnen seiner kleinen Schwester – denen er keinerlei Aufmerksamkeit gewidmet hatte, abgesehen von Emma.
    Jacks Brust war wie zugeschnürt; er drehte sich um, wollte sichergehen, dass ihm niemand folgte. Nell war ihm nicht nachgekommen. Gut. Er hatte eine Möglichkeit finden müssen, sie jeden Tag ein paar Stunden zu beschäftigen. Die Projektplanung stand an, und wenn Nell ständig um ihn herum war, brachte er nichts Vernünftiges zustande.
    Er warf einen prüfenden Blick auf seine Uhr: zwanzig nach neun. Damit blieben ihm annähernd drei Stunden Freizeit. Mehr als genug, um einen Spaziergang zu machen, bevor er sich an die Arbeit machte. Er überquerte die Fußgängerbrücke, die über den Bach führte, und stieg die Steintreppe zum Wald hinauf.

    »Hey – lass das Ding nicht fallen!«
    »Ich lasse nie etwas fallen – du bist hier der Tollpatsch.«
    »Würdet ihr zwei endlich die Klappe halten und die Leiter tragen? Herrgott, muss man euch dauernd sagen, was ihr zu tun habt?«
    »Was ist, wenn sie uns verhext?«
    »Blödmann – sie ist doch keine richtige Hexe.«
    »Sie ist eine gute Hexe, wie Glinda aus dem Zauberer von Oz.«
    »Warum, weil sie Vögel mag? Vögel haben fiese schuppige Klauen und Schnäbel, mit denen sie dir die Augen aushacken. Hast du gehört, Billy? Wir werden dich ›Vogeljunge‹ nennen. Und die Hexe ist die Vogelfrau. Sie hat so etwas Unheimliches. Meine Mom sagt, sie ist nie mit normalen Leuten zusammen.«
    »Sie hat mit niemandem Kontakt. Sie schläft tagsüber, und nachts ist sie damit beschäftigt, Menschen mit einem Zauberbann zu belegen.«
    »Quatsch«, widersprach Billy McCabe, dessen Mutter ihm und seinen Schwestern aus Stevies Büchern vorgelesen hatte, als er noch klein war. Er trug die Donut-Schachtel mit dem Vogeljungen, das kräftig durchgeschaukelt wurde. »Sie tut niemandem etwas zuleide.«
    »Blödsinn. Sie ist wie die Hexe in diesem blöden Horrorfilm – The Blair Witch Project –, wo die drei Leute mit der Kamera spurlos in dem Wald verschwinden. Bestimmt wurden sie gefressen.«
    »Gefressen? Hexen fressen keine Menschen. Haie sind Menschenfresser.«
    »Das Hai-Hexenprojekt.«
    »Arschloch!«
    »Oh – der große coole Jeremy sagt ›Arschloch‹.«
    »Du sagst es doch auch.«
    »Ich bin schließlich schon zwölf.«
    »Und ich bin elf.«
    Die Jungen stapften mit ihrem Handwerkszeug durch die Hintergärten: einer Leiter, einem Fotoapparat und einer Kerze. Sie hatten ihren Sommerclub AH getauft:

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