Wege im Sand
von Neuengland nach Costa Rica gegangen; nun war daraus ein Sommer im Leben eines Vogelpaares geworden, das ein Nest baute und ein Junges großzog – inspiriert von Stevies Träumen und der Begegnung mit Nell. Die einzige unveränderliche Größe in den beiden Geschichten war die blühende rote Klettertrompete, die so anziehend auf die winzigen Vögel wirkte und die ihnen Nahrung bot.
»Es ist eine große Ehre für mich, Zeuge bei der Entstehung eines Buches zu sein«, sagte Madeleine. »Wer hätte gedacht, dass sich meine alte Freundin zu einer berühmten Künstlerin mausert!«
»Danke für das Kompliment.«
»Die Bewohner von Hubbard’s Point müssen sehr stolz sein.«
»Die Kinder aus der Nachbarschaft bezeichnen mich als Hexe.«
»Das soll doch wohl ein Scherz sein!«
»Ich bin die ortsansässige Exzentrikerin meiner Generation – genau wie die alte Hecate. Erinnerst du dich an sie?«
»Ja natürlich. Ist sie noch hier? Und Mrs. Lightfoot und Mrs. Mayhew – wohnen sie noch in ihren Cottages? Und was ist mit deiner Tante, lebt sie noch in diesem bizarren Schloss? Oh, und was ist aus all den schmucken Burschen geworden, in die wir damals verknallt waren? Ich brenne darauf zu erfahren, was sich in der Zwischenzeit getan hat. Strand und Jungen, das war damals alles, woran wir denken konnten.«
»Lass uns nach draußen gehen und Eistee trinken – ich werde dich haarklein ins Bild setzen.« Stevie ging vor Madeleine die Treppe hinunter, mit dem Anflug eines schlechten Gewissens. Sie hatte sich insgeheim ein Ziel gesetzt, von dem ihre Freundin nichts ahnte. Das Wiedersehen mit Madeleine erwies sich als unsäglich schmerzvoll – sie wirkte sehr verletzlich. Sie trug eine schwarze Jacke aus fließendem Material, obwohl es dafür viel zu heiß war, um die Pfunde zu verbergen, die sie zugelegt hatte. Madeleines Augen waren von Trauer überschattet – sie wusste nicht, dass Stevie den Grund dafür kannte.
Stevie öffnete die Seitentür, forderte Madeleine auf, in einem Teakholzstuhl unter dem ausladenden weißen Sonnenschirm Platz zu nehmen, und ging in die Küche, um ein Tablett herzurichten. Als sie auf die Terrasse zurückkehrte, legte Madeleine einen Finger an die Lippen und deutete auf die Klettertrompeten. Die Kolibris, die von den röhrenförmigen Blüten Besitz ergriffen hatten – vier an der Zahl –, flogen dort ein und aus.
Stevie schenkte Eistee ein und stellte Zuckerplätzchen auf den Tisch, dann saßen die beiden alten Freundin stumm da und beobachteten das Treiben der Vögel. Ihre grünen Federn schillerten im Sonnenschein, die Schwingen glichen einem flirrenden Farbklecks. Als sie schließlich davonflogen, brach Madeleine das Schweigen.
»Das hätte Emma gefallen.«
Stevie umklammerte ihr Glas, suchte nach Worten.
»Sie starb. Bei einem Autounfall, vor einem Jahr.«
»Das tut mir Leid.« Falls sich Madeleine wunderte, warum Stevie nicht aus allen Wolken fiel, ließ sie es sich nicht anmerken.
»Sie war mit meinem Bruder Jack verheiratet. Sie haben sich hier kennen gelernt, am Strand, wie du vielleicht weißt.« Sie blickte den Hügel hinab.
»Ja.« Stevie versuchte, tief durchzuatmen, stellte sich Jack und Nell vor, die gestern Abend allein auf dem Sofa gesessen hatten.
»Auf der hölzernen Strandpromenade, genauer gesagt.« Madeleine deutete auf den blauen Pavillon, der als Schattenspender über dem Plankenweg errichtet worden war. »Sie gingen miteinander, während beide noch in der Ausbildung waren. Jack studierte am MIT , wurde Ingenieur. Emma war in Wellesley. Nachdem sie den Abschluss gemacht hatte, heirateten sie und zogen nach Atlanta. Sie war nie berufstätig, aber immer zur Stelle, wenn es galt, unentgeltlich zu arbeiten. Wenn jemand kein Geld hatte, um Hilfskräfte zu bezahlen, musste er sich nur an Emma wenden.«
»Wirklich?« Stevie versuchte, sich Emma in dieser Rolle vorzustellen.
»Ich sagte oft im Scherz, sie habe ein soziales Gewissen entwickelt, um ihr Verhalten gegenüber der Frau mit dem Einkaufswagen in New London wieder gutzumachen … es stellte sich heraus, dass sie in ihrem Element war, wenn es galt, Spenden zu sammeln.«
»Das überrascht mich nicht«, sagte Stevie. »Ich erinnere mich an den Tag, als sie ihre erste Sammelaktion startete – sie musste diese jungen Burschen von der Küstenwache nur anlächeln! Als sie zurückkam, hatte sie die beiden Zehner in der Hand – und ein teuflisches Lächeln im Gesicht. Sie sagte, es sei ›ein
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