Wege im Sand
wir könnten sogar mehr sein.«
»Es tut mir Leid.« Jack hätte gerne ihre Hand genommen, weil er ähnlich empfunden hatte. Wann hatten sich seine Gefühle geändert? Als Nell sie kennen lernte, da war es ihm bewusst geworden …
»Was war der Grund?«, fragte sie. »Dass man Privatleben und Arbeitsleben trennen sollte? Oder habe ich dich zu sehr bedrängt?«
»Du warst, du bist wunderbar. Ich sagte doch, es lag nicht an dir.«
»Woran denn?«
»An uns – an mir und Nell. Wir haben einen Hurrikan hinter uns. So empfinde ich es jedenfalls. Einen Sturm, der unser Haus bis auf die Grundfesten zerstört hat. Nichts scheint mehr sicher oder selbstverständlich zu sein. Es wäre nicht fair von mir, einen anderen Menschen in diesen Wirbelsturm hineinzuziehen.«
Sie verdrehte die Augen. »Schöne Metapher.«
»Das Beste, was ich zu bieten habe.«
»Dein Kind ist so traumatisiert, dass du keine neue Beziehung zu einer Frau eingehen kannst, und da entwurzelst du sie und schleppst sie von Amerika nach Schottland? Das leuchtet ein.«
Jack dachte an Stevie und was sie über den »Fluchttrieb« gesagt hatte. Sein Blick fiel abermals auf die Tüte.
»Meine Eltern waren geschieden«, sagte Francesca. »Nell ist ein großes Mädchen. Sie wird es überstehen, wenn es eine neue Frau in deinem Leben gibt. Glaube mir. Es besteht kein Grund, sie wie eine Glucke zu beschützen …«
Jack spüre, wie ihm das Blut in den Adern gefror. Francescas Worte gingen ihm durch Mark und Bein. Er dachte an Emma und Madeleine, die im Krankenhaus gelandet waren, an die Lücke in seiner und Nells Familie. »Scheidung?«, antwortete er. »Wir haben uns nicht scheiden lassen. Nells Mutter ist tot. Mitten aus dem Leben gerissen, an einem herrlichen Tag in Georgia, auf dem Heimweg von einem Wochenende am Strand mit meiner Schwester.«
»Ich wollte nicht gefühllos sein. Ich verstehe ja, was du sagen willst. Aber das ist nicht der springende Punkt. Wenn ein Vater anfängt, sich wieder für andere Frauen zu interessieren, ist das für die Tochter in beiden Fällen das Gleiche – die Beziehung ist von vornherein zum Scheitern verurteilt.«
Jack schüttelte heftig den Kopf. Er wusste, dass ihm dieser Schlagabtausch die Trennung erleichterte – mehr als er es verdiente.
»Nein, du verstehst offenbar nicht. Nell steht an erster Stelle. Punkt. Sie hat ein Problem mit uns. Sie ist noch nicht so weit – zu verkraften, dass ich mich für andere Frauen interessieren könnte. Für dich. Es tut mir Leid, Francesca.«
Sie legte die Hand auf die Tür und sah Jack an. »Das sollte es auch.«
Etliche Bemerkungen gingen ihm durch den Kopf, aber er schwieg, überließ ihr das letzte Wort. Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als sie hinausging und die Tür hinter sich schloss.
Er lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Als er sich umsah, wurde ihm bewusst, dass er sich hier nie richtig heimisch gefühlt hatte. Er war mit der Hoffnung nach Boston gekommen, dem Kummer und der Einsamkeit von Atlanta zu entfliehen. Francesca hatte sich bemüht, eine gute Freundin zu sein, aber das reichte nicht. Er öffnete die Schreibtischschublade, nahm Nells und seinen Pass heraus.
Was würde sie von Schottland halten? Plötzlich wusste er nicht einmal mehr, was er sich überhaupt dabei gedacht hatte, als er diese Pläne schmiedete. Er erinnerte sich, wie er in Stevies Küche gestanden und ihr von Dr. Galford erzählt hatte. Nell hatte seither zwei Sitzungen bei ihm gehabt. Inzwischen schlief sie besser. Mussten sie sich einen neuen Therapeuten in Inverness suchen? Und mit wem konnte er reden, wenn er sich Nells Problemen nicht gewachsen fühlte?
Zu Anfang schien Schottland wie geschaffen für seine Tochter und ihn. Als Kind hatten seine Eltern dort mit ihm und Madeleine Urlaub gemacht. Sie hatten Maddie einen Tartan-Kilt gekauft. Aus bunt kariertem Wollstoff in gedämpften rot-grünen Farben, trug er vorne eine große silberne Anstecknadel in Form einer Distel – das Emblem Schottlands.
Sie waren in die Highlands im Nordwesten des Landes gefahren, hatten uralte Berge mit sanft gerundeten Konturen gesehen, die ans Meeresufer grenzten, und waren mit einer Fähre zur Isle of Harris gefahren, um Tweedstoffe zu kaufen. Dann waren sie aufs Festland zurückgekehrt und hatten sich in einem Hotel einquartiert, das auf einen Meeresarm hinausblickte. Ihr Vater hatte ein Fischerboot mit einem ortsansässigen Führer gemietet, der mit ihnen zum Lachsfang auf einen Fluss fuhr. Er
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