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Wege im Sand

Wege im Sand

Titel: Wege im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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barfuß im Sand getanzt, bis die Eltern befanden, es sei an der Zeit, nach Hause zurückzukehren.
    Die Familien machten sich gemeinsam auf den Heimweg, bis zum Deich. Er war sehr dick, bestand aus riesigen Felsen, schützte die Straße vor dem Meer. Peggy und ihre Familie hatten sich verabschiedet und mit Taschenlampen die Marsch durchquert.
    Nell und ihr Vater gingen nun über den sandigen Parkplatz hinter dem Hafenbecken nach Hause. Nell hörte die Metallteile der Boote in der Dunkelheit leise ächzen und knarren, wenn sich das Wasser hob und senkte. Sie gähnte und stolperte, aber ihr Vater fing sie auf und stützte sie beim Gehen.
    »Der Abend hat Spaß gemacht«, sagte sie.
    »Finde ich auch.«
    Nell war erschöpft von der frischen Luft, vom Herumlaufen und von der allgemeinen Aufregung, als sie beobachtet hatten, wie sich der riesige Mond aus dem Meer erhob. Sie hatte sich rundum wohl gefühlt in der Gesellschaft der vielen Menschen, die sich auf dem Sandstrand eingefunden hatten.
    »Das war, als wären wir eine große Familie«, sagte sie, die Hand ihres Vaters umklammernd.
    Er antwortete nicht. Sie spürte den Teer unter ihren Füßen, noch warm von der Sonne.
    »Es hat mir gefallen. Ich finde es schön, wenn wir für uns alleine sind, nur wir beide. Aber ich mag es auch, wenn andere Leute um mich sind.«
    »Nun, meistens sind wir ja für uns«, erwiderte er. »Wir reisen bald ab, in ein paar Wochen. Aber du kannst Peggy ja schreiben.«
    »Aus Boston?«, fragte sie, unsicher, ob sie nach Massachusetts oder nach Hause, nach Georgia zurückkehren würden.
    »Nicht aus Boston.« Seine Stimme klang merkwürdig – zögernd, dachte sie. Ungewöhnlich für ihren Vater.
    »Fahren wir nach Atlanta zurück?«
    »Nell, kennst du den Highland Fling?«
    »Den was?«
    »Das ist ein schottischer Tanz.«
    »Schottisch? So mit Dudelsäcken?«
    »Ja.«
    »Ohhh.« Nell schauderte. »Tante Madeleine hat mir erzählt, dass sie als kleines Mädchen in Schottland war und überall Dudelsäcke zu hören bekam. Sie fand das toll, ich aber nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Weil ich Dudelsäcke hasse. Wegen dem, der in der Kirche gespielt hat, bei Moms …« Sie weigerte sich, das Wort Begräbnis auszusprechen. Sie erinnerte sich an den Mann, den ihre Mutter aus dem Dixon kannte – dem Gefängnis, in dem sie ehrenamtlich tätig gewesen war, ein Wärter oder Polizist oder so –, er hatte neben dem Altar gestanden und »Amazing Grace« auf dem Dudelsack gespielt.
    »Schottland hat wesentlich mehr zu bieten als Dudelsäcke.«
    »Stimmt, aber wenn ich auch nur einen hören würde, wäre mir der ganze Aufenthalt verleidet. Sie sind grässlich. Ich hasse sie. Sprich nicht mehr davon, ja? Weil ich sonst wieder Albträume bekomme.«
    »Aber Nell …«
    »Psssst!« Sie hielt sich die Ohren zu.
    Ihr Vater verstummte. Nell ergriff seine Hand, gähnte erneut. Obwohl sie todmüde war, wollte sie sichergehen, dass ihre Gedanken vor dem Schlafengehen nicht durch Vorstellungen wie Trauermusik und Gefängnis aufgewühlt wurden. Um sie zu verscheuchen, summte sie »Lemon Tree« vor sich hin und versuchte zu entscheiden, aus welchem Buch er ihr noch etwas vorlesen sollte.
    Eulennacht oder Sommer der Schwäne? Oder vielleicht Seeadler? Am Cottage angekommen, schloss ihr Vater die Hintertür auf, und sie gingen hinein. Nell zog unverzüglich ihren Schlafanzug an. Sie wusste, dass sie sich eigentlich Gesicht und Füße waschen und die Zähne putzen sollte, aber sie wollte nur noch ins Bett und die Geschichte hören.
    Sie hatte sich inzwischen für ein Buch entschieden – Sommer der Schwäne – und hängte gerade die Zahnbürste ins Gestell zurück, als sie ein Klopfen an der Haustür vernahm. Ihr wurde mulmig.
    Ein Klopfen an der Haustür, vor allem nach Einbruch der Dunkelheit, verhieß nichts Gutes. Sie erinnerte sich an die Polizisten, die eines Abends zu ihnen nach Hause gekommen waren, um ihnen mitzuteilen, was mit ihrer Mutter passiert war. In ihrer Verwirrung hatte sie die Männer mit den Gefängniswärtern verwechselt, die sie vor diesem grässlichen Häftling warnen wollten, der ihre Mom angerufen hatte und entflohen war. Und sie erinnerte sich an das leise Tap-Tap-Tap, sobald sie vermeintlich schlief und Francesca wieder einmal mit Papieren vor der Haustür stand, auf die ihr Vater »noch heute Abend« einen Blick werfen musste. Weil sonst die London Bridge eingestürzt wäre oder was?
    Dem leisen Klopfen an der Tür nach zu urteilen,

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