Wehe Dem, Der Boeses Tut
wirklich geglaubt, ich wüsste es nicht, oder?«
Er warf sich ein wenig in die Brust – so, wie er es vor Gericht zu tun pflegte, wenn er einen besonders widerspenstigen Zeugen vor sich hatte. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Hör auf, Jason.« Nicole wischte die überschüssige Creme ab. »Ich bin nicht so dumm, wie du es gern hättest. Und mir ist auch klar, was diese Sache mit London bedeutet. Du hast eine Heidenangst, nicht wahr?« Sie warf ihr helles Haar über die Schulter und legte die Ohrringe ab, Diamanten, die im weichen Licht über ihrem Frisiertisch funkelten. Sie hatte die Ohrringe selbst ausgesucht, die Jason ihr zum fünften – oder war es zum sechsten? – Hochzeitstag gekauft hatte. »Diese neue kleine London … Sie könnte tatsächlich deine Schwester sein.«
»Das glaube ich nicht.«
Manchmal, wenn der Schmerz nicht zu groß war, wenn sie Distanz zu ihm halten konnte, amüsierte es sie, ihm beim Lügen zuzusehen. Er tat es so geschickt, so geschmeidig und so … überzeugend, als glaubte er seinen Worten selbst.
»Wenn die Lage nicht ernst wäre, würde sich Zachary nicht hier herumtreiben«, sagte sie. »Nelson sieht aus, als hätte er etwas zu verbergen. Trisha ist schlimmer denn je – mich schaudert bei dem Gedanken, was für Drogen sie wohl zurzeit nimmt –, und deine Mutter, sonst so unnahbar, scheint auch plötzlich ihr Interesse an der Familie entdeckt zu haben. Oh, du machst dir sehr wohl Sorgen«, sagte sie, legte die Ohrringe in ein mit Samt ausgeschlagenes Kästchen und klappte es zu. »Ihr alle seid in großer Sorge.«
»Du nicht?« Er trat hinter sie und legte die Hände locker um ihren Hals. Im Spiegel sahen sie einander an, und sie hob das Kinn ein wenig, als sie den leicht verstärkten Druck seiner Hände spürte. Es wäre ein Leichtes für ihn, zuzudrücken und sie zu erwürgen, doch Nicole hatte keine Angst. Sie warf einen vielsagenden Blick auf das gerahmte Foto auf der Ecke ihres Frisiertischchens.
Ihre Tochter Shelley lachte in die Kamera, das Haar zerzaust vom Wind, der an jenem Tag vom Meer her wehte. Shelly war das Einzige, was sowohl ihr als auch Jason etwas bedeutete. Das Einzige.
Jasons Blick senkte sich auf das Bild und seine Finger lockerten sich.
Er würde nie etwas tun, wodurch er seine Tochter verlieren könnte, denn er war genauso vernarrt in Shelley wie Witt seinerzeit in London. Nichts, was seine Tochter tat, konnte in seinen Augen falsch sein. Der kleine Kobold verstand ihn um den Finger zu wickeln.
»Weißt du, ich möchte nicht, dass uns etwas zustößt«, sagte Nicole leise, doch etwas Stahlhartes schwang in ihrer Stimme mit. »Es wäre für Shelly ein vernichtender Schlag.«
Jasons selbstgefälliges Lächeln erstarb. »Kinder verkraften eine Menge.«
»Ach, ja?«, fragte sie spitz. »Und du?«
»Ich komme zurecht.«
»Tatsächlich? Da bin ich mir nicht so sicher. Und dann wären da noch deine Brüder und deine Schwester …«
Wieder trafen sich ihre Blicke im Spiegel. »Zach scheint immer wieder auf die Füße zu fallen. Die anderen … wer weiß?« Er wandte sich ab und ging zur Tür.
»Ich lasse mich nicht öffentlich demütigen, Jason. Wenn deine kleine Freundin unsere Familie in den Schmutz ziehen will, spiele ich nicht mit, und ich werde auch Shelly da heraushalten. Entweder hörst du auf, dich mit dem kleinen Miststück zu treffen, oder du hältst sie in Schach – welches von beidem du tust, ist mir letztendlich gleich.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Es war ihr nicht gleich – es ärgerte sie, dass eine andere Frau, eine jüngere Frau, ihm den Kopf verdrehen konnte, doch sie war schlau genug zu verstehen, dass Jason mehr brauchte als nur eine Ehefrau. Er brauchte es, sich anbeten und schmeicheln zu lassen, und er brauchte ständig ein heißes kleines Ding, das ihm das Bett wärmte und sein männliches Ego streichelte.
Die Vorstellung verursachte ihr Übelkeit, aber sie konnte damit leben. Um Shellys willen. Solange keine von seinen kleinen Schlampen an die Öffentlichkeit ging. Bisher hatte Nicole sich im Grunde nie Sorgen darum gemacht, doch diese Kim beunruhigte sie. Es gehörte Mut dazu, mehr als nur Mut, Jason Danvers' Frau anzurufen und sie herumzukommandieren.
Einiges hatte sich geändert, seit Adria Nash in die Stadt gekommen war. Und zwar nicht zum Vorteil.
Sie hörte ein Klopfen an der Haustür und ihr Herz machte einen Satz. Was kam jetzt? Für den Bruchteil einer Sekunde packte sie die
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