Wehe Dem, Der Boeses Tut
sehr nervös verließ sie den Raum.
Adria nahm auf einem Zweiersofa Platz, Zach blieb am Fenster stehen und blickte hinaus auf die Bucht.
Während Mrs Bassetts Abwesenheit huschte ein Dienstmädchen ins Zimmer und deckte den Glastisch mit silbernem Teegeschirr.
Dann ertönten im Flur Schritte. Adria wappnete sich. Würde sie die Frau erkennen, die sie womöglich ihren leiblichen Eltern entrissen und damit ihren Lebensweg unwiderruflich verändert hatte?
»… aber ich erwarte niemanden«, protestierte eine dünne Stimme.
»Ich weiß, aber sie sagen, sie sind Freunde von Ihnen, lang vergessene Bekannte.«
»Wirklich, Mrs Bassett, ich kenne niemanden …«
Die Stimme ließ Adrias Herz einen Schlag aussetzen. Der Boden schien unter ihren Füßen zu schwanken, als eine Frau das Zimmer betrat. Sie war klein, vogelhaft, mit ergrauendem Haar und einem unscheinbaren Gesicht. Als ihr Blick auf Adria fiel, erstarrte sie. »Nein«, hauchte sie tonlos. Ihr ohnehin blasses Gesicht verlor alle Farbe. »Oh, lieber Gott.« Sie musste sich ein wenig sammeln, ehe sie die Frage herausbrachte: »Wer … wer sind Sie?« Sie zwang sich zu einem unverbindlichen Lächeln, doch ihre Unterlippe zitterte.
»Raten Sie mal«, entgegnete Zach.
»Ich weiß nicht …«
»Doch, Sie wissen, Ginny. Sie ist London.«
Virginias Blick huschte von einem zum anderen. »London?«
»London Danvers, das Mädchen, das Sie nach Montana zu Victor und Sharon Nash gebracht haben, das Mädchen, das Sie als Ihre Tochter ausgegeben haben, nachdem Ihr eigenes Kind bereits seit Jahren tot war.«
»Nein!«, sagte sie und fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Mrs Bassett, ich weiß nicht, was für Lügenmärchen Ihnen diese Leute aufgetischt haben, aber …«
»Die Polizei ist bereits verständigt, Virginia«, sagte Velma ruhig. »Falls Sie lügen …«
»Oh, heilige Mutter Gottes!« Virginia griff sich an die Brust. »Sie haben doch nicht …«
»Wie wäre es, wenn Sie uns jetzt alles erklären«, schlug Zach vor und wies auf einen Sessel. »Vielleicht finden wir ja eine Lösung.«
»O mein Gott …« Sie wollte protestieren, ließ sich dann jedoch aufs Sofa sinken und blickte aus dem Fenster auf die Wolken über dem grünen Wasser der Bucht. Tränen stiegen ihr in die Augen und rannen langsam über ihre Wangen. Sie gab den Widerstand auf und eine tiefe Resignation befiel sie. »Es tut mir leid. Es tut mir so furchtbar leid.«
»Erzählen Sie, Ginny«, verlangte Zach unerbittlich, während Adria Mitleid mit dieser Frau empfand, die in den wenigen Minuten, seit sie das Zimmer betreten hatte, um zwanzig Jahre gealtert zu sein schien.
Velma Bassett stand an den Türrahmen gelehnt und starrte das Kindermädchen an, dem sie vor mehr als achtzehn Monaten ihre Tochter anvertraut hatte.
»Ich … Ich wollte es nicht tun«, sagte Ginny, zog ein Taschentuch hervor und tupfte sich die Wangen ab. »Aber es ging um so viel Geld.«
»Wie?«
»Man hatte mir fünfzigtausend Dollar versprochen, wenn ich London fortbringe.«
Adrias Herz krampfte sich zusammen.
»Ich wusste, dass es nicht recht war, aber ich konnte nicht widerstehen. Ich musste ja nur mit dem Mädchen untertauchen.«
»Aber warum? Und wer steckte dahinter?«, wollte Zach wissen.
»Ich weiß es nicht.«
Adria konnte sich nicht länger zurückhalten. »Aber jemand hat Sie bezahlt, jemand hat Ihnen Anweisungen erteilt …«
»Das wurde alles telefonisch geregelt. Zuerst dachte ich, es sei ein Scherz. Dann erhielt ich ein Päckchen mit zehntausend Dollar – mehr Geld, als ich je in meinem Leben gesehen hatte. Und dann kam der nächste Anruf, man bot mir weitere vierzigtausend. Ich brauchte nur die Stadt zu verlassen. Noch einmal fünftausend Dollar wurden auf einem Postamt hinterlegt, den Rest sollte ich bekommen, sobald ich in Denver war. Von dort aus sollte ich weiterziehen, so weit fort von Portland wie eben möglich. Es sollte eigentlich schon früher am Abend geschehen, aber London wollte nicht schlafen gehen, und beinahe hätten wir es nicht geschafft. Ich hatte Angst, ich war so verzweifelt. O Gott, was soll ich denn jetzt tun?«
»Nun, ganz gewiss werden Sie nicht länger meine Tochter betreuen«, sagte Mrs Bassett. »Glauben Sie mir, Sie verbringen keine Nacht mehr in diesem Haus!« Zitternd vor Wut lief sie aus dem Zimmer, und ihre biederen Schuhe klackten laut auf den Stufen, als sie nach oben eilte. »Chloe? Wo bist du?«
Ginny strich sich mit zitternden
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