Wehe Dem, Der Gnade Sucht
streng. »Zum Nachtisch.«
»Aber als Nachtisch haben wir doch noch Kuchen«, widersprach Kylie. »Warum können wir denn die Wassermelone nicht jetzt schon essen?«
Fiona wollte gerade etwas erwidern, doch George Callahan schaltete sich schnell ein.
»Du hast doch heute Geburtstag, oder?«, fragte er seine Tochter.
»Ja!«, rief sie grinsend.
Angelica wischte sich einen Rest Gras von der Stirn. Meredith versuchte sich an einem ironischen Gesichtsausdruck, sah dabei aber eher aus, als hätte sie schwere Verdauungsprobleme.
»Na bitte, also darfst du heute bestimmen, wann die Wassermelone gegessen wird«, erklärte George und sah Fiona herausfordernd an. Die schüttelte den Kopf.
»George Callahan, du verwöhnst das Kind«, stellte sie fest.
»Dann tu ich das eben. Schließlich ist es ihr Tag, und da soll sie Wassermelone essen, wann sie will.«
»Hurra!«, kreischten die Kinder, sprangen auf und ab und sangen: »Wassermelone! Wassermelone!«
Die drei Erwachsenen brachen in Lachen aus bei dem Anblick. Fiona schüttelte allerdings noch immer den Kopf. In ihrer Welt konnte man nicht einfach tun und lassen, worauf man gerade Lust hatte – allerdings war in ihrer Welt Laura auch immer noch am Leben und rottete nicht irgendwo tot und verlassen vor sich hin.
KAPITEL 30
Es wurde ein wunderbares Sommeressen. Laura hätte es geliebt. George übertraf sich beim Grillen selbst, es gab grünen Salat mit frischen Tomaten aus der Region, und die Maiskolben waren zart und einfach perfekt. Lees Mutter war gewissermaßen eine Maisperfektionistin. Sobald das Wasser zu kochen begann, stellte sie die Eieruhr auf exakt eine Minute und holte die Maiskolben beim Klingeln mit einer Zange aus dem Topf. Vom heißen Dampf wurde ihr Gesicht jedes Mal ganz feucht.
Sie aßen am langen Eichentisch im getäfelten kleinen Esszimmer, obwohl sie eigentlich hatten draußen sitzen wollen. Doch kaum war die Sonne langsam untergegangen, war ein Mückenschwarm über sie hergefallen. Also hatten sie ihre Teller geschnappt und sich ins Haus gerettet.
Fiona hatte sich erweichen lassen, und so gab es wegen der Kinder Hamburger und Pommes zum Mais und Salat. In der Familie Campbell durfte das Geburtstagskind immer bestimmen, was es zu Essen geben sollte. Fiona selbst bevorzugte Fisch oder Hühnchen und Gemüse. Um aber auch sie zufriedenzustellen, gab es Biofleisch von Angusrindern, fettarm und hormonfrei.
»Der ist spitze, George«, sagte Lee, nachdem er seinen perfekt medium gegrillten Burger mit braunen Zwiebeln aufgegessen hatte. George hatte jeden Burger genau nach Wunsch zubereitet und dazu seine selbst gemachte Soße gereicht. Das Rezept hütete er wie einen kostbaren Schatz.
»Danke.« George machte noch ein Bier auf, trank einen kräftigen Schluck und wischte sich mit dem Ärmel über den Mund. Verstohlen sah er zu Fiona, die aber zu seinem Glück nichts davon mitbekommen hatte.
Die Mädchen plapperten und kicherten unablässig. Fiona schaute ihre Enkelin manchmal mahnend an, aber die ließ sich den Spaß mit ihren Freundinnen nicht verderben. Gerade unterhielten sich die Mädchen über Ouija-Bretter – sie hatten nämlich das Set entdeckt, das früher Lee und Laura gehört hatte. Lee erklärte den Kindern, wofür man es benutzte. Meredith runzelte kritisch die Stirn, aber die anderen beiden waren sofort begeistert und wollten das Brett nach dem Essen unbedingt selbst ausprobieren.
»Man kann die Zukunft nicht vorhersagen«, erklärte Meredith und bestrich ihren Maiskolben mit einer großzügigen Schicht Butter. »Das ist Unsinn.«
»Woher willst du das denn wissen?«, fragte Kylie. »Und wenn man das nun doch kann?«
»Dann funktioniert es aber bestimmt nicht mit einem einfachen Holzbrett, auf das ein paar Buchstaben gemalt sind.«
»Meine Oma meint, sie kann die Zukunft aus den Kratzspuren der Hühner lesen«, sagte Angelica. Ihr Kinn glänzte fettig von der geschmolzenen Butter.
»Ihr habt Hühner?«, fragte Kylie. »Cool!«
Kylie und Angelica wollten nun nur noch möglichst schnell mit dem Essen fertig werden, damit sie das Ouija-Brett ausprobieren konnten. Merediths Proteste waren ihnen ganz egal.
KAPITEL 31
Für Roberto Rivera war es ein Sonntag wie jeder andere auch. Genau wie an unzähligen Sonntagen zuvor stempelte er sich mit der Thermoskanne unter dem Arm bei der Arbeit ein. Und wie immer würde er sich auch heute wieder durch die Gänge des Büros wischen und fegen, damit alles sauber war, wenn die Belegschaft am
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