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Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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nach dem Aufstehen, hatte sie sie aufgemacht, um noch einmal das Geschmiere zu lesen. Doch wie nicht anders zu erwarten, war keine Spur mehr von dem Wort zu sehen, das möglicherweise vom heftigen Regen weggewaschen worden war. Außer es hatte nie existiert. Rachel fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. Hatte sie sich das nur eingebildet? Christas Handy blieb immer noch stumm. Was hätte ihre Schwiegermutter auch bei diesem Sturm hier zu suchen gehabt? Und warum dieses »Verzeih«? Rachel schenkte sich Kaffee nach und gab diesmal einen großen Löffel Zucker hinein, um auf Trab zu kommen. Nach einer solchen Nacht musste sie unbedingt etwas essen. Mit Vollkornweizenflocken, Honig und Milch hieß sie den Tag willkommen und bekam ein bisschen Elan.
    Eine halbe Stunde später vertrieb sie mit einem heißen Wasserstrahl die albtraumartigen Bilder der letzten Nacht. Sie musste einen kühlen Kopf bewahren. Ja, vielleicht hatte sie sich das alles wirklich nur eingebildet. So etwas konnte durchaus passieren, vor allem wenn das Gehirn durch bedrückende Geschehnisse gestresst war. Nach einer ausgiebigen Dusche erschien ihr die Annahme, ihre Schwiegermutter sei durch die Flure der Siedlung gegeistert, geradezu grotesk. Im Laufe des Tages würde sie bei Christa vorbeifahren, um sich zu vergewissern, dass alles in Ordnung war. Mit einem Zipfel ihres Badetuchs wischte Rachel über den beschlagenen Spiegel und betrachtete sich genau. Sie war noch jung, gerade mal zweiunddreißig Jahre alt, aber dennoch sah sie im Gegensatz zu früher verhärmt aus. Deutlich konnte sie eine neue, steile Falte zwischen ihren Augenbrauen sehen. Sie erkannte sich gar nicht wieder. Seit wann hatte sie diesen angespannten, besorgten Gesichtsausdruck? Ein kurzer Blick auf die Uhr mahnte sie zur Eile.
    Hastig schlüpfte sie in eine Jeans, zog ein weißes Top an und darüber eine schwarze Strickjacke mit Reißverschluss. Sie schminkte sich dezent, gerade so viel, dass die Spuren der letzten Nacht überdeckt waren. Anschließend weckte sie Sacha, der sein Lieblingsplüschtier eng an sich drückte, sich die Bettdecke über den Kopf zog und brummte: »Ich will aber noch schlafen, Mama.«
    »Ich weiß, mein Häschen, aber die Frau, die Krankengymnastik mit dir machen will, kommt in zwanzig Minuten. Da solltest du fertig sein.«
    Als sie die Stimme auf dem Anrufbeantworter gehört hatte, war Rachel sofort klar gewesen, dass Kirsten Sörensen eine sehr strukturierte Person war, der Verspätungen verhasst waren. Kaum war Sacha aus dem Bett, zog Rachel ihm eine Jogginghose und ein Sweatshirt an.
    »Die Frau wird Gymnastik mit dir machen, damit deine Beine kräftiger werden. Du musst genau auf das hören, was sie sagt.«
    »Gibt sie mir eine Spritze?«
    »Nein, mein Liebling! Keine Spritze. Sie wird nur Übungen mit dir machen. Das ist wie Spielen, du wirst sehen. Und außerdem bin ich ja die ganze Zeit bei dir.«
    Mit seinen Ärmchen umschlang Sacha seine Mutter. »Und danach gehe ich nicht zur Schule, oder?«
    »Doch, danach ist Schule.«
    »Aber ich will da nicht hin! Ich will zur Oma …«
    »Oma muss sich ausruhen.«
    »Aber ich werde sie auch bestimmt nicht stören!«
    Sacha zog eine Schnute. Rachel nahm ihren Sohn ganz fest in den Arm. »Komm, mein Kleiner, iss dein Brot, wir sind schon spät dran.«
    Kirsten Sörensen war der Inbegriff einer Sportlerin: durchtrainiert, die Beine waren schlank und muskulös, sie hatte kräftige Arme und kurze, zu einem Bob geschnittene, blonde Haare. Wenn sie einen Raum betrat, strahlte sie Kraft und Vitalität aus. Sie trug einen Jogginganzug aus schwarzem Lycra, dazu ein Kapuzenshirt und über der Schulter eine voll gepackte Sporttasche. Natürlich nahm sie nicht den Aufzug, sondern kam mit langen, federnden Schritten in den dritten Stock des Hauses in der Ø restad-Siedlung. Ihr nächstes im Sport anvisiertes Ziel war der in einem Monat stattfindende New-York-Marathon, für den sie bereits seit einem Jahr trainierte. Problemlos fand sie die Wohnung Nummer 34 und klopfte mehrmals energisch an die Tür. Es war zehn nach sieben, sie kam fünf Minuten zu früh. Wie immer.
    Tja, mit der werden wir wohl nichts zu lachen haben, war Rachels erster Eindruck, als sie ihr aufmachte. Die beiden Frauen, die ungefähr im gleichen Alter waren, taxierten sich kurz, ehe sie einander begrüßten. Kirsten trat ein und nahm den Raum in Besitz.
    »Hallo, Sacha.«
    Der kleine Junge, der um seinen Mund einen Milchbart hatte, schluckte

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