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Wehrlos: Thriller

Wehrlos: Thriller

Titel: Wehrlos: Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elena Sender
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kann ich Ihnen morgen früh um sieben Uhr fünfzehn einen Termin anbieten.«

KAPITEL ZWANZIG
    26. August. 0.30 Uhr
    Rachel setzte den Schlusspunkt unter ihren Bericht. Seit zwei Stunden löschte sie Passagen, überlegte und formulierte um – trotz achtmonatiger Bemühungen war sie mit dem Ergebnis nicht voll und ganz zufrieden. Die rund sechzig Seiten hatte sie nun auf vierzig zusammengekürzt. Der Text sollte neutral und sachlich klingen und auf entrüstete Anklagen verzichten – obwohl sie nichts lieber getan hätte, als Hannibal Reed zu attackieren und ihm eine Meute bissiger Hunde auf den Hals zu hetzen.
    Sie war spät dran. Zwar hatte sie sich gleich, nachdem sie Sacha gebadet und mit ihm zu Abend gegessen hatte, an die Arbeit gemacht, doch es fiel ihr schwer, sich zu konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften immer wieder ab, und sie wurde von Fragen, auf die sie keine Antwort wusste, und den unzähligen Problemen in ihrem Berufs- und Privatleben abgelenkt.
    Wirklich auf den Text einlassen konnte sie sich erst, nachdem Sacha eingeschlafen war. Doch davor hatte sie ihm noch das erste Kapitel von Pippi Langstrumpf vorlesen, ein Glas Wasser bringen, ein Küsschen geben und das Licht anlassen, nein, ausmachen, die Tür offen lassen, nein, doch lieber zumachen müssen.
    Aber damit nicht genug. Auch als sie endlich am Schreibtisch saß, hatte Rachel sich sehr zusammenreißen müssen, um nicht wieder an Professor Hansens Vorschlag zu denken oder daran, dass Reed vermutlich die Schuld an Sachas Schicksal hatte, oder an das starre, eingefallene Gesicht von Karl oder an den Anruf vom Labor. Ein Stück eines menschlichen Embryos … Jedes Mal, wenn diese Worte in ihrem Kopf widerhallten, erschauderte sie. Und natürlich dachte sie auch an Christa, die sich noch immer nicht gemeldet hatte.
    Schließlich beschloss sie, ihre Arbeit zu beenden. Sie hatte das Gefühl, sich nur noch im Kreis zu drehen. Kurz entschlossen speicherte sie das Dokument auf ihrem USB -Stick ab und schickte eine E-Mail an Peter, der zu dieser späten Stunde sicher noch auf war.
    Von: Rachel
    An: Peter
    Betreff: Eiche und Schilfrohr
    Bin fertig. Bringe dir alles morgen. R.
    Die Antwort kam prompt.
    Von: Peter
    An: Rachel
    Betreff: Re: Eiche und Schilfrohr
    Schick mir das Ganze bitte umgehend an meine
    private Mailadresse.
    Rachel musste tief durchatmen. Nun stand sie unter Zugzwang. Sie würde nicht umhinkönnen, ihr »Baby« loszulassen. Also ging sie wieder auf »Verfassen« und hängte das vierzigseitige Dokument an. Dann, nachdem sie Peters private E-Mail-Adresse als Empfänger eingegeben hatte, drückte sie auf »Senden«.
    Fast zwanghaft machte sie sich anschließend daran, ihren Schreibtisch aufzuräumen, packte die Stifte zu den Stiften, die Unterlagen ordentlich in farbige Hüllen und verstaute die Sachen in den Schubladen. Den Computer versetzte sie in den Stand-by-Modus, bevor sie in die Küche ging und Wasser aufsetzte. Sie zerstieß Kamillen- und Eisenkrautblätter in einer Tasse und brühte sich einen Tee auf. Im Halbdunkel setzte sie sich an den Küchentisch und schlürfte langsam das Getränk, während sie die nächtliche Stille in ihrer Wohnung genoss.
    Am besten, ich nutze diese kleine Atempause . Rachel kehrte an den Computer zurück und ging im Internet auf die Homepage der Renokpharma-Gesellschaft. Wenn sie Reed überführen wollte, musste sie unbedingt die Frau aus dem Bella Center wiederfinden und zum Reden bringen. Auf der Suche nach einem Telefonverzeichnis oder einem Organigramm durchforstete Rachel akribisch die Site der Firma, weil sie hoffte, dadurch etwas über die engeren Mitarbeiter von Hans Renoksen in Erfahrung zu bringen. Ohne Erfolg.
    Verärgert gab Rachel schließlich auf und beschloss, ins Bett zu gehen. Kaum lag sie unter ihrer Decke, überlegte sie, was wohl morgen geschehen würde. Würde ihr Bericht einen Medienrummel auslösen, oder bliebe er eher unbeachtet? Würde der färöische Fischer angeklagt werden und Reed ungeschoren davonkommen? Was würde in den nächsten Wochen, Monaten, Jahren aus ihr und Sacha werden? Würde Karl sterben? Die Stille um sie her war mit einem Mal grauenhaft.
    Rachel schloss die Augen und versuchte, die quälenden Gedanken zu verscheuchen, die sie heimsuchten. Ein Embryo … Sie öffnete wieder die Augen. In was war Christa da nur hineingeraten? Sie war eine liebevolle Großmutter, die stets alles getan hatte, damit es ihrem Enkel und ihrer Schwiegertochter an nichts mangelte.

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