Wehrlos: Thriller
bei den letzten beiden Monaten verweilte. Mit dem Finger folgte sie den einzelnen Tagen. Einige Termine kehrten regelmäßig wieder. Dienstags, außer in den Schulferien, der Lesezirkel, jeden zweiten Donnerstag der internationale Kochkurs. Besuche von Freunden, Telefonate und die Rehabehandlungen von Sacha. Dazwischen endlose Listen seltsamer Dinge: Kräuter, Gewürze, ätherische Öle und unbekannte Namen. Einige Zeiträume waren nicht abgedeckt, insbesondere eine Woche im Juli und eine Woche im August. Plötzlich fiel ihr etwas auf: Eine Notiz, die sich durch ihre Knappheit und die Abkürzungen von den anderen unterschied, wiederholte sich fünfmal. Sie bestand nur aus fünf Wörtern:
Montag, zwölf Uhr, Termin DRW .
Insgesamt fünf Termine zwischen Juni und August, der letzte in der vergangenen Woche. Rachel zuckte zusammen. Auf allen Notizzetteln hatte Christa das Datum, die Uhrzeit, den Treffpunkt, den Namen oder Vornamen und einen kleinen Kommentar vermerkt wie: 12 . Juli, 1 4 Uhr, Kaffee bei Monica, das neueste Rezept Zitronen-Mohn-Kuchen mitnehmen , nicht jedoch bei diesen fünf Terminen, die durch ihre Kürze auffielen. Wer war DRW ? Rachels Herz begann schneller zu schlagen. Wie konnte sie die Frage ohne ein Adressbuch klären? Sie hatte keine Zeit, die Nachforschungen weiterzuführen, denn ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass Sacha bald Schulschluss hatte.
KAPITEL ACHT
Kirsten Sörensen wartete im Wartezimmer von Professor Hansen. Sie fühlte sich geschmeichelt, vom Chef persönlich einbestellt worden zu sein. Sie schätzte diesen Arzt sowohl in fachlicher als auch in menschlicher Hinsicht. Er war nicht wie diese arroganten Ärzte, die alle Physiotherapeuten wie zweitrangige Handwerker behandelten. Und da war noch die persönliche Geschichte dieses Mannes – der Verlust seiner einzigen Tochter Camilla, die an einer seltenen Krankheit gelitten hatte. Sein Kampf für Fortschritte in der Forschung mithilfe seiner Stiftung rührte sie.
Kirsten mochte die Ärzte im Besonderen und die meisten Menschen im Allgemeinen nicht sonderlich. Abgesehen von ihrer Volleyballmannschaft, konnte sie ihre Freunde an zwei Fingern abzählen. Es waren ihre beiden Schulfreunde Erns und Raj, die sich für Informatik begeisterten und sich zu unrettbaren Computerfreaks entwickelt hatten. Mit ihnen verbrachte sie so manchen Abend, sie spielten Halo oder Call of Duty und tranken Bier. Sie war die Einzige des Trios, die sich körperlich fit hielt und auf ihre Ernährung achtete. Neben ihrer Leidenschaft für Computerspiele und einigen Jugenderinnerungen teilte sie nicht viel mit ihnen. Und doch fühlte sie sich nur mit diesen Nerds , wie sie die beiden gern nannte, wohl und konnte sich entspannen.
Sie hatte sich eine freiberufliche Tätigkeit ohne Büroleben, ohne belastende Hierarchie ausgesucht, denn sie ertrug es nicht, Befehle erteilt zu bekommen. Trotzdem war sie gesellschaftlich nicht völlig isoliert. Sie behandelte vor allem Kinder, und die Gesellschaft dieser jungen Patienten genügte ihr als sozialer Kontakt und verschaffte ihr ein Gefühl von Nützlichkeit, das sie zum Leben brauchte.
Wenn sie in gewissen Schlüsselmomenten, zum Beispiel an ihrem Geburtstag, Bilanz zog, sagte sie sich, dass ihr Dasein ihr gefiel, abgesehen davon, dass sie keine Kinder und kein wirkliches Liebesleben hatte. Ihr letzter Liebhaber, ein Physiotherapeut aus dem Riget, mied sie seit mehreren Wochen. Dabei hatten sie eine gute Zeit zusammen gehabt. Per hatte das gleiche Bedürfnis wie sie: sich im Sport zu verausgaben. Sie hatten begonnen, gemeinsam zu joggen und für den Marathonlauf zu trainieren. Dann hatte sie ihre Computerspiele aufgegeben und gemeinsam mit ihm jeden Abend, außer am Wochenende, dasselbe Fitnessstudio besucht.
Sie waren zwangsläufig im Bett gelandet, bei ihr zu Hause, ein-, zweimal … viermal. Bis die Geschichte plötzlich endete, als sie durch eine Indiskretion erfahren hatte, dass Per in Schweden verheiratet war. Jedes Wochenende fuhr er über die Ø resundbrücke nach Stockholm zu seiner Frau. Kirsten hatte den Schlag eingesteckt und ihn ohne ein Wort verlassen. Seither mied er sie, als wäre sie die Schuldige. Sie zuckte mit den Schultern. Sie war ohnehin nicht wirklich in ihn verliebt gewesen. Ihre einzige echte Liebe arbeitete einige Blocks weiter in einem Forschungslabor. Er spielte in ihrer Volleyballmannschaft und sah in ihr lediglich eine gute Kameradin. Es war die banalste Geschichte der Welt, tat aber
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