Weiberabend: Roman (German Edition)
Bettnässerei so viel Aufmerksamkeit bekommt, hat er es auch bestimmt nicht eilig, damit aufzuhören. Tam hat dieses arme Kind zur Musiktherapie, zur Kinesiologie und Craniosacraltherapie geschleift und ihn sogar zur Akupunktur überredet, »indem ich ihm die positive Wirkung erklärt und natürlich seine Ängste beschwichtigt und ihm eine Belohnung versprochen habe«. Wenn er vorher keinen Grund hatte, sich in die Hose zu machen, dann hat er jetzt ganz sicher einen.
Tams Söhne Kieran und Michael sind, oberflächlich betrachtet, geradezu Anne-Geddes-Engel. Meine Kinder kreischen und jammern, ihre hören still zu. Meine beschimpfen sich (und manchmal auch mich) als Blödmann und Arschgesicht, ihre sagen »Vielen Dank für die Einladung« und »Darf ich aufstehen?«, wenn sie den Tisch verlassen. Meine rümpfen die Nase, wenn sie irgendetwas pflanzlich Anmutendes auf dem Teller entdecken, ihre essen brav ihren Brokkoli auf und bitten sogar noch um einen Nachschlag. Kieran und Michael verstehen unter »etwas zu Naschen« Reiscracker mit Aufstrich. Bio-Erdbeeren mit Naturjoghurt. Selleriestangen mit Hummus. Während ich meinen Kindern lebenslängliches Fernsehverbot androhen muss, damit sie ihren Schwimmkurs machen, ohne der Lehrerin Wasser ins Gesicht zu spucken, absolvieren ihre einen vollen Terminplan mit Cricket, Fußball, Judo und Taekwondo – alles völlig freiwillig, versteht sich.
Das sind die langweiligsten Kinder, die ich kenne – das heißt, solange Tam in der Nähe ist. Einmal hatte ich ihre Kinder bei mir zu Hause, während Tam bei einer Elternsprechstunde war. Sie haben meinen Lutschervorrat geplündert, und Kieran hat Aarons Schmetterlingsnetz kaputt gemacht und dabei vor befriedigter Schadenfreude so über das ganze Gesicht gestrahlt, dass ich nicht wusste, wie ich es Tam sagen sollte. Ich würde wetten, dass die beiden mit sechzehn zu Adrenalinjunkies mutieren, sobald das Testosteron die Ketten von Tams eifriger Überwachung sprengt. Nur im Fall, dass Tam nicht irgendeine Studie entdeckt, die beweist, dass ein Extra-Löffel Sonnenblumenkerne im morgendlichen Müsli das Einsetzen der Teenager-Rebellion wirksam hinauszögert.
Tam spricht mit ruhiger, beherrschter Stimme mit ihren Söhnen und achtet sehr darauf, sie gleichzubehandeln. Grade so, als wären beide sehr begabt. Aber nur Kieran ist (nachdem Tam ihn auf glutenfreie Ernährung umgestellt hat) als »hochbegabt« eingestuft worden, von welchem Gremium auch immer solche Einschätzungen getroffen werden. Seitdem, Gott steh uns bei, widmet sich Tam in jeder wachen Sekunde der Mission, »sein Entwicklungspotenzial zu maximieren«. Er darf sich im Unterricht niemals langweilen. Jegliches gereizte oder unpassende Verhalten ist ein Alarmsignal und bedeutet, dass er unterfordert sein muss.
Tam fängt jeden Tag nach der Schule seine Lehrerin ab, die arme Ms. Kramer. (Sie ist ungefähr zwanzig Jahre alt, und ihr Pädagogendiplom wird vermutlich gerade noch gerahmt.) Tam verlangt von ihr eine kurze Zusammenfassung von Kierans Schultag und ist schrecklich besorgt, wenn ihr Sohn »ruhig« war, »ein bisschen überdreht« oder »verschlossen«. Zur Abholzeit erscheint Tam gerüstet mit einem Stapel kopierter Artikel über hochbegabte Kinder, die Ms. Kramer lesen soll – Ms. Kramer versenkt sie wahrscheinlich auf dem Weg zum Parkplatz im nächsten Mülleimer. Doch sie lächelt tapfer weiter und hat offenbar trotz ihrer Jugend Mitleid mit Müttern, die das Bedürfnis haben, immer noch die treibende Kraft im Leben ihrer Kinder zu sein.
Helen und ich winden uns innerlich, aber Tam lässt sich von unserer kritischen Beurteilung nicht so leicht unterkriegen. Wenn es um ihre Jungs geht, zeigt sie angesichts unseres unzureichend unterdrückten Spotts erstaunlichen Mut. CJ hat einmal hinter ihrem Rücken gesagt: »Ich finde es gut, dass sie Stellung bezieht und sich so für ihre Kinder einsetzt.« Doch darauf folgte sofort: »Aber sie sollte es wirklich lockerer angehen und Kieran zur Abwechslung mal ein ganz normales Kind sein lassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm das schaden würde.«
»Wer weiß, vielleicht entwickelt er dann sogar so etwas wie eine eigene Persönlichkeit?«, fügte ich hinzu. Aber bitte, mein Urteil ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Ich bin keine weise Seherin, was Kindererziehung betrifft. Ich habe gerade erst damit angefangen, schlecht informiert und unvorbereitet. Für mich nimmt Mutterschaft oft die Dimension einer
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