Weiberabend: Roman (German Edition)
Klettstreifen der Mutterschaft
V or der Tür steht Liz. Sie sieht müde, aber glamourös aus. »Wie geht es dir?«, fragt sie und küsst mich auf die Wange, ohne meine Antwort abzuwarten. Sie hält eine riesige vegetarische Lasagne in den Händen. Hausgemacht, aber nicht von ihr. Unter ihrem Arm klemmt eine Flasche Rotwein. »Umwerfender Jahrgang«, sagt sie beiläufig und deutet mir an, ihr die Flasche abzunehmen. Liz zieht einen schicken, kleinen braunen Koffer auf Rädern hinter sich her. Sie stolziert in einem veritablen Outfit herein: Keine Trainingshose, keine Jeans, sondern ein Hosenanzug aus klassischem Seidenchiffon, der an mir »Grau« wäre, an ihr jedoch »Anthrazit« ist. Um ihren Hals baumelt eine teure Kette aus Perlen in Hellrosa, Pfauenblau und Schneeweiß. Ich war zuletzt schick angezogen, als der Sohn einer Verwandten vor einem Jahr seine Bar-Mizwa feierte. Liz kleidet sich immer, als rechne sie damit, dass die Paparazzi jeden Moment auftauchen könnten. Neben ihr komme ich mir in Jeans und Pulli ziemlich schäbig vor.
Liz ist die Karrierefrau unter uns – eine Anomalie in dieser Gruppe von Vollzeit- oder zumindest Teilzeit-Müttern. Während wir uns mit dem Lebenszweck zufriedengeben müssen, erfolgreich unseren Haushalt zu leiten, leitet Liz ihre eigene Werbeagentur. Leute nennen sie »Chefin«, sie heuert und feuert. Sie ist eine der klügsten Frauen, die ich kenne. Sie und Fiona sind seit ihrer Kindheit befreundet, und Liz wird hauptsächlich Fi zuliebe zu diesen Zusammenkünften eingeladen. Ich bin immer wieder überrascht, wenn Liz dann tatsächlich auftaucht – eine so wichtige Geschäftsfrau wie sie findet unsere Gespräche doch wahrscheinlich so spannend wie ein Mensch-ärgere-dich-nicht-Turnier. Aber interessanterweise kommt Liz sogar sehr oft, außer sie ist geschäftlich verreist. Und sie ist eigentlich eine angenehme Person, wenn auch ein bisschen rechthaberisch. Ich respektiere ihre Meinung zu so ziemlich jedem Thema, sei es der Stand des Aktienmarktes oder die Frage, ob es tatsächlich die Presse ist, die Prinzessin Diana auf dem Gewissen hat. Kindererziehung ist das einzige Thema, bei dem ich mich ihren knallharten Urteilen nicht anschließe. »Jonglieren, um Kinder und Beruf zu vereinbaren?«, hat sie einmal zu mir gesagt. »Nur Clowns jonglieren. Willst du der Clown sein, oder die Zirkusdirektorin? Das ist ganz einfach – wenn du Karriere machen willst, mach Karriere. Wenn du außerdem Mutter sein willst, such dir jemanden, der den Job für dich macht.«
Liz hat uns erzählt, dass sie nur deshalb Kinder bekommen hat, weil Carl welche wollte – vermutlich die einzige Ausnahme in ihrer sonst so makellos egozentrischen Existenz. Ich habe selbst gehört, wie sie den Mutterinstinkt als »frauenfeindliche Propaganda, durch den die Frauen ans Haus gefesselt werden sollen« bezeichnet hat. Sie behandelt ihre Kinder Chloe und Brandon wie mürrische Angestellte, die gemanagt und geführt werden müssen. Sie verlangt von ihnen, einen minimalen Kodex von Verhaltensregeln zu befolgen, den sie ausgedruckt, laminiert und innen an der Badezimmertür befestigt hat. Als Mutter hält sie sich an das in der Geschäftswelt erprobte Prinzip, dass zu große Vertrautheit nur Verachtung erzeugt. Ihre Kinder haben die Botschaft verstanden (sie sind schließlich nicht zurückgeblieben): Sei unabhängig. Chloe und Brandon können sich selbst etwas zu essen machen, sich anziehen, sich beschäftigen und auch allein schlafen legen, wenn es nötig ist. Aber Liz hat eine besondere Versicherung.
Wie die heißt? Ein Wort, vier wunderschöne Buchstaben: Lily. Lily ist aus Korea und hat ein Herz (und einen Bauch) so groß wie ein Wal. Alle Kinder blühen in ihrer Gegenwart auf, obwohl sie gebrochen Englisch spricht und man sie manchmal nicht ganz versteht – bietet sie einem gerade »Tee« an, oder fragt sie, ob einem der große »Zeh« wehtut? Ich habe Lily einmal gefragt, ob sie selbst Kinder hat. Und musste mich dann abwenden, damit sie die Tränen in meinen Augen nicht sieht, als sie mir erzählte, dass sie zwei Kinder mit fünf und sieben Jahren in Korea hat (»schöne, schöne Babys – meine«), um die sich ihre Mutter kümmert. Lilys Mann hat sich während der zweiten Schwangerschaft aus dem Staub gemacht, und sie musste ihre drei Monate alte Tochter und den zweijährigen Sohn zurücklassen, um nach Australien zu gehen und Geld zu verdienen, das sie nach Hause schickt. Seitdem hat sie ihre Kinder
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