Weiberregiment
dorthin, wohin das Gehirn gar nicht sehen will. Stecher zog hastig die Hose hoch.
»Keine Sorge, es ist alles in Ordnung…«, begann Polly, aber es hörte sie niemand – das Mädchen war bereits weggelaufen.
Polly sah zu den Büschen und dachte: Lieber Himmel! Wir sind zu
zweit
! Aber was hätte ich als Nächstes sagen sollen? »Schon gut, ich bin ebenfalls ein Mädchen. Du kannst mir vertrauen. Lass uns Freunde sein. Und ich kann dir da einen guten Rat über Socken geben.«?
Igor und Toller kehrten spät zurück, ohne ein Wort. Feldwebel Jackrum sagte nichts. Die Truppe brach wieder auf.
Polly ging hinten, zusammen mit Karborund. Das bedeutete, dass sie Stecher im Auge behalten konnte, wer auch immer sie war. Zum ersten Mal sah Polly sie richtig an. Sie ließ sich leicht übersehen, denn irgendwie blieb sie immer in Tollers Schatten. Sie war klein, obwohl »zierlich« besser auf ein Mädchen passte. Schwarzes Haar umrahmte ihr Gesicht, und sie schien immer mit sich selbst beschäftigt zu sein. Nie wich sie von Tollers Seite. Plötzlich fiel Polly ein, dass sie auch dicht bei ihm schlief.
Ah, so war das also. Sie folgt ihrem Freund, dachte Polly. Das war romantisch, in gewisser Weise, und sehr, sehr dumm. Sie verstand es nun, über die Kleidung und den Haarschnitt hinauszusehen, und daraufhin erkannte sie all die kleinen Hinweise, die verrieten, dass Stecher ein Mädchen war, noch dazu ein Mädchen, das nicht gründlich genug geplant hatte.
Polly beobachtete, wie Stecher Toller etwas zuflüsterte, woraufhin sich Toller halb umdrehte und Polly mit einem Blick bedachte, in dem Hass und auch eine vage Drohung lagen.
Ich
kann
es ihr nicht sagen, dachte sie. Sie würde es
ihm
erzählen, und ich kann es mir nicht leisten, dass die anderen Bescheid wissen. Ich habe mich nicht darauf beschränkt, das Haar kurz zu schneiden und eine Hose anzuziehen. Ich habe
geplant…
Ja… die Pläne.
Es hatte mit einer seltsamen Idee
begonnen
und war dann zu einem Plan geworden. Polly erinnerte sich. Zu Anfang hatte sie Jungen aufmerksam beobachtet, was in einigen von ihnen Hoffnung weckte, die kurze Zeit später in Enttäuschung mündete. Polly beobachtete, wie sie sich bewegten, und sie lauschte dem Rhythmus dessen, was unter Jungen als Konversation galt. Sie sah, wie sie sich zur Begrüßung knufften. Es war eine neue Welt für sie.
Für ein Mädchen hatte sie bereits recht gute Muskeln entwickelt, denn bei der Arbeit im Wirtshaus musste sie vor allem schwere Dinge heben. Sie übernahm noch anstrengendere Aufgaben, wodurch sie Schwielen an den Händen bekam. Unter dem langen Rock trug sie eine alte Kniehose ihres Bruders, um sich daran zu gewöhnen.
Eine Frau konnte Prügel für so etwas bekommen. Männer kleideten sich wie Männer, und Frauen wie Frauen. Wer diese Regel missachtete, machte sich einer blasphemischen Abscheulichkeit vor Nuggan schuldig, wie Pater Joppe betonte.
Und das war vermutlich das Geheimnis ihres bisherigen Erfolgs, dachte Polly, als sie durch eine Pfütze stapfte. Niemand hielt nach einer Frau
Ausschau,
die eine Hose trug. Für den beiläufigen Beobachter genügte es, die Kleidung eines Mannes und kurzes Haar zu tragen und ein wenig zu stolzieren, um ein Mann zu sein. Ein zweites Paar Socken nicht zu vergessen.
Auch das hatte sie beschäftigt. Jemand wusste so über sie Bescheid wie sie über Stecher.
Und die betreffende Person hatte sie nicht verraten.
Sie hatte zunächst auf Augenbraue getippt, dann aber daran gezweifelt. Er hätte bestimmt mit dem Feldwebel geredet; er war so ein Bursche. Derzeit richtete sich ihr Verdacht auf Maladikt, was aber wahrscheinlich daran lag, dass er immer über alles Bescheid zu wissen schien.
Karborund… Nein, er hatte in der Gaststube auf dem Boden gelegen, vollkommen hinüber, und außerdem… Nein, der Troll kam gewiss nicht infrage. Und Igor lispelte. Toller? Er hatte von Stecher gewusst, und vielleicht… Nein, warum sollte er Polly helfen wollen? Nein, sich Stecher anzuvertrauen bedeutete in jedem Fall Gefahr. Sie konnte nur darauf achten, dass das Mädchen nicht sie beide verriet.
Polly hörte, wie Toller dem Mädchen zuflüsterte: »…war gerade gestorben, und so schnitt er ihm ein Bein und einen Arm ab und nähte sie einem Mann an, der sie brauchte, so wie man ein Loch stopft! Seine Finger bewegten sich so schnell, dass man die einzelnen Bewegungen gar nicht mehr erkennen konnte! Und er hat all die Salben, die…« Tollers Stimme verklang. Strappi
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