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Weiberregiment

Weiberregiment

Titel: Weiberregiment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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konnte ihre Lieder pfeifen, und nachdem Polly Geld gespart und von einem Reisenden im Wirtshaus einen Malkasten gekauft hatte, malte Paul einen Zaunkönig: Der Vogel wirkte so real, dass man glaubte, ihn zwitschern zu hören.
    Damals war ihre Mutter noch am Leben gewesen, und tagelang hatte es Streit gegeben. Bilder lebender Geschöpfe waren eine Abscheulichkeit in Nuggans Augen. Polly hatte gefragt, wieso dann überall Bilder von der Herzogin hingen, und die Antwort waren Prügel. Ihre Mutter hatte das Bild verbrannt und den Malkasten weggeworfen.
    Eine schreckliche Sache. Ihre Mutter war eine freundliche Frau gewesen, so freundlich, wie es eine fromme Frau sein konnte. Sie hatte versucht, mit Nuggans Launen Schritt zu halten, und sie war langsam gestorben, umgeben von Bildern der Herzogin und den Echos unbeantworteter Gebete. Doch gelegentlich schlich sich diese Erinnerung verräterisch in Pollys Bewusstsein: der Zorn und die Schelte, während der kleine Vogel in den Flammen zu flattern schien.
    Auf den Feldern holten Frauen und alte Männer nach dem Regen der vergangenen Nacht den Weizen ein, um von ihm zu retten, was noch zu retten war. Junge Männer fehlten. Polly bemerkte, dass einige der anderen Rekruten zu den Erntenden blickten, und sie fragte sich, ob ihnen ähnliche Gedanken durch den Kopf gingen.
    Sie begegneten niemandem auf der Straße, bis sie gegen Mittag durch eine Landschaft aus niedrigen Hügeln wanderten. Die Sonne hatte einige der Wolken verbrannt, und der Sommer schien zurückzukehren: feucht, klebrig und ein wenig unangenehm, wie ein Partygast, der nicht nach Hause gehen will.
    Aus einem roten Fleck in der Ferne wurde ein größerer roter Fleck und dann eine lockere Gruppe von Männern. Polly wusste sofort, was sie erwartete. Die Reaktionen einiger anderer Rekruten verrieten, dass sie nicht Bescheid wussten. Als beide Gruppen aufeinander trafen, gab es einige Momente der Verwirrung, und dann verharrten die Rekruten und starrten.
    Die Verwundeten brauchten eine Weile, um sie zu erreichen und zu passieren. Zwei unverletzte Männer – soweit Polly das feststellen konnte – schoben einen Handkarren, auf dem ein dritter lag. Andere hinkten auf Krücken oder hatten die Arme in Schlingen oder trugen rote Jacken mit einem leeren Ärmel.
    Vielleicht noch schlimmer waren die Leute wie der Mann im Wirtshaus: die Gesichter farblos, den Blick nach vorn gerichtet, die Jacken trotz der Wärme zugeknöpft.
    Ein oder zwei der Verletzten sahen die Rekruten an, als sie vorbeiwankten, doch in ihren Augen stand nur schreckliche Entschlossenheit.
    Jackrum zügelte sein Pferd.
    »Also gut, zwanzig Minuten zum Verschnaufen«, brummte er.
    Igor drehte sich um und nickte in Richtung der Verwundeten, die den Weg grimmig fortsetzten. »Bitte um Erlaubnif, ihnen fu helfen, fallf daf möglich ift.«
    »Dazu bekommst du bald genug Gelegenheit, Junge«, erwiderte Jackrum.
    »Feldwebel?« Igor wirkte verletzt.
    »Oh, na schön. Wenn du unbedingt willst. Soll dir jemand zur Hand gehen?«
    »Die Hände zu klauen«, warf Strappi ein und lachte hässlich.
    »Daf wäre nicht schlecht«, sagte Igor.
    Der Feldwebel sah zur Gruppe und nickte. »Soldat Halter, vortreten! Wie gut kennst du dich mit Doktordingen aus?«
    Der rothaarige Toller trat schneidig vor. »Ich habe für meine Mutter Schweine geschlachtet, Feldwebel«, sagte er.
    »Großartig! Besser als jeder Militärarzt. Los mit euch. Zwanzig Minuten, denkt dran!«
    »Und achte darauf, dass Igor keine Souvenirs mitbringt!«, rief Strappi und lachte wieder sein kratzendes Lachen.
    Die anderen Jungs nahmen im Gras am Straßenrand Platz. Ein oder zwei von ihnen verschwanden zwischen den Büschen. Polly brach mit der gleichen Absicht auf, ging aber noch tiefer ins Gebüsch und nutzte die Gelegenheit, gewisse Socken zurechtzurücken. Sie neigten dazu fortzukriechen, wenn man nicht aufpasste.
    Sie erstarrte, als es hinter ihr raschelte, entspannte sich dann aber wieder. Sie war vorsichtig gewesen; niemand konnte etwas gesehen haben. Vermutlich war jemand in der Nähe und wollte seine Blase entleeren. Sie würde einfach zur Straße zurückkehren, ohne ihm Beachtung zu schenken…
    Stecher sprang auf, als Polly aus dem Gebüsch kam, die Kniehose um den einen Fuß, das Gesicht puterrot.
    Polly konnte einfach nicht anders. Vielleicht lag es an den Socken oder an Stechers flehendem Blick. Wenn jemand »Nicht hinsehen!« mitteilt, reagieren die Augen von ganz allein und richten den Blick

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