Weiberregiment
Nuggan zu den Gläubigen hinab, waren also nach unten unterwegs. Das Verbot betraf Nachrichten, die Menschen untereinander austauschten, die also seitwärts reisten. Dabei drohten Zusammenstöße. Wenn man an Nuggan und an das Gebet glaubte.
Reißers richtiger Name lautete Alice, vertraute sie Polly während des Grabens an, aber es fiel schwer, diesen Namen mit einem dürren Jungen zusammenzubringen, der einen schlechten Haarschnitt hatte, ungeschickt mit der Schaufel umging und dazu neigte, beim Gespräch zu dicht vor einem zu stehen und links am Gesicht vorbeizusehen. Reißer glaubte an das Gebet. Sie glaubte an alles. Das machte es… schwer, mit ihr zu reden, wenn man ihren Glauben nicht teilte. Aber Polly meinte, dass sie es versuchen sollte.
»Wie alt bist du, Reißer?«, fragte sie und schaufelte Erde beiseite.
»N-n-neunzehn, Polly«, antwortete sie.
»Warum bist du Soldat geworden?«
»Die Herzogin hat mich dazu aufgefordert«, sagte Reißer.
Das war der Grund, warum andere Leute nicht viel mit Reißer sprachen.
»Reißer, du
weißt
doch, dass es eine Abscheulichkeit ist, die Sachen von Männern zu tragen.«
»Danke, dass du mich daran erinnerst, Polly«, sagte Reißer ohne eine Spur Ironie. »Aber die Herzogin hat mir gesagt, dass nichts, was zur Erfüllung meiner Mission nötig ist, als abscheulich gilt.«
»Eine Mission, wie?«, erwiderte Polly und versuchte, jovial zu klingen. »Und was für eine Mission ist das?«
»Ich soll den Befehl über das Heer übernehmen«, sagte Reißer.
Pollys Nackenhaare richteten sich auf. »Tatsächlich?«, fragte sie.
»Ja. Als ich schlief, trat die Herzogin aus ihrem Bild und sagte mir, ich sollte mich sofort auf den Weg zum Kneck machen«, erklärte Reißer. »Die Kleine Mutter sprach zu mir, Schnieke. Sie gab mir einen Auftrag. Sie lenkte meine Schritte. Sie führte mich aus der scheußlichen Sklaverei. Wie kann das eine Abscheulichkeit sein?«
Sie hat ein Schwert, dachte Polly. Und eine Schaufel. Ich muss vorsichtig sein. »Das ist nett«, sagte sie.
»Und… und ich muss dir sagen, dass ich… nie zuvor in meinem Leben solche Liebe und Kameradschaft gefühlt habe«, fuhr Reißer ganz ernst fort. »Die letzten Tage waren die schönsten meines Lebens. Ihr alle seid so freundlich und sanft zu mir. Die Kleine Mutter führt mich. Sie führt uns alle, Schnieke. Das glaubst du doch auch?« Der Mondschein erhellte Tränenspuren im Schmutz auf Reißers Wangen.
»Äh«, sagte Polly und suchte nach einer Möglichkeit, nicht zu lügen. Sie fand eine. »Äh… weißt du, dass ich meinen Bruder suche?«, erwiderte sie.
»Das ehrt dich, wie die Herzogin weiß«, sagte Reißer sofort.
»Und… ich mache es auch für die Herzogin«, fügte Polly hinzu und fühlte sich schrecklich. »Ich muss zugeben, dass ich die ganze Zeit über an die Herzogin denke.« Das stimmte. Es war nur nicht ganz ehrlich.
»Es freut mich sehr, das zu hören, Schnieke, denn ich habe dich für eine Abtrünnige gehalten«, entgegnete Reißer. »Aber du hast das mit großer Überzeugung gesagt. Vielleicht sollten wir jetzt niederknien und…«
»Reißer, du stehst im Grab eines fremden Mannes«, sagte Polly. »Dies ist wohl kaum ein geeigneter Ort. Lass uns zu den anderen zurückkehren.«
Die schönsten Tage in seinem Leben hatte dieses Mädchen damit verbracht, durch Wälder zu marschieren, Gräber auszuheben und Soldaten beider Seiten auszuweichen? Pollys Problem war, dass ihr Ich auch dann Fragen stellte, wenn sie die Antworten eigentlich gar nicht wissen wollte.
»Äh… spricht die Herzogin noch immer zu dir?«, fragte Polly, als sie durch den dunklen Wald gingen.
»Ja«, bestätigte Reißer. »Sie sprach in Plotz zu mir, in der Kaserne. Sie meinte, es klappt alles.«
Stell keine,
keine
weitere Frage, riet ein Teil von Pollys Bewusstsein, aber sie ignorierte diesen Rat aus reiner, schrecklicher Neugier. Reißer war nett – in einer leicht unheimlichen Weise –, aber mit ihr zu reden war, wie an Schorf zu kratzen: Man wusste, was sich wahrscheinlich unter der Kruste befand, aber man kratzte trotzdem.
»Was hast du in der zivilen Welt gemacht?«, fragte Polly.
Reißer lächelte schwermütig. »Ich wurde geschlagen.«
In einer kleinen Senke abseits des Weges wurde Tee gekocht. Einige Mitglieder der Gruppe standen Wache. Niemandem gefiel die Vorstellung von Männern in dunkler Kleidung, die in der Nähe umherschlichen.
»Einen Becher Saloop?«, fragte Knaller. Vor einigen Tagen
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