Weibliche Lust ohne Tabus
Partner scheinbar wahllos wechseln, sich kaum um den Nachwuchs kümmern und von Bindungsängsten geprägt sind, gehen ihre Artgenossen in der ebenen Prärie eine feste, lebenslange Partnerschaft ein und kümmern sich gemeinsam um den Nachwuchs. Der kleine Unterschied wird auf den Umstand zurückgeführt, dass die Präriewühlmäuse in ihrem Hormonhaushalt über mehr Vorräte an Oxytocin verfügen als ihre Verwandten aus den Bergen. Denn dieser biochemische Wirkstoff sorgt dafür, dass Vertrauen entstehen kann, der Wunsch nach Bindung, Zärtlichkeit und Treue wächst. Und das gilt nicht nur für Wühlmäuse …
Etliche Studien haben inzwischen die Rolle dieses Hormons für die Sexualität des Menschen, seine Psyche und sein Sozialverhalten erforscht. Das Neuropeptid (oder sollte man »Popp-tid« sagen …?) intensiviert die zwischenmenschliche Beziehung und wird bei angenehmen Körperkontakten, Zärtlichkeiten und in vertrauten Situationen vermehrt gebildet. Und beim Orgasmus schnellt seine Konzentration auf Rekordwerte hinauf. Vorausgesetzt, der Partner passt. Denn weil Oxytocin an allen Prozessen beteiligt ist, die der Fortpflanzung und dem Arterhalt dienen, ist die Grundvoraussetzung für die Bildung dieses Hormons vor allem eines: Vertrauen. Damit ist Oxytocin der emotionalste aller Botenstoffe. Und das bedeutet zugleich, dass Gefühle mehr als nur eine Herzensangelegenheit sind und sie nur dann entstehen, wenn buchstäblich »die Chemie stimmt«.
Mit genügend Oxytocin im Blut erfährt man höchste Lust – auch im Jogging-Anzug, mit dicken Socken an den Füßen, Kekse knabbernd und völlig ungestylt. Denn dank des »Kuschelhormons« darf man sich getrost darauf verlassen, dass man so geliebt wird, wie man ist. Mit ihm wird Lust alltagstauglich, es intensiviert die Vertrautheit und verankert die Gefühle.
Anfangs konzentrierte sich das Interesse an diesem Stoff, der in der Hirnanhangdrüse gebildet wird, auf rein physiologische Wirkungen. So stellten Wissenschaftler schon im frühen 20. Jahrhundert fest, dass Oxytocin bei Schwangeren Kontraktionen der Gebärmutter auslöst und die Wehen einleitet. Es wird bis heute bei Schwangeren mit Wehenschwäche und nach der Geburt zur Rückbildung der Gebärmutter eingesetzt. Außerdem stimuliert es anschließend den Milchfluss der Mutterbrust und erleichtert so das Stillen des Neugeborenen. Und auch das ist ja schließlich eine Frage des Urvertrauens zwischen Mutter und Kind.
Weil Oxytocin das Vertrauen unterstützt, Stress abbaut und Ängste nimmt, wird es in der Medizin übrigens auch in psychologischen Therapien bei Autismus oder Phobien eingesetzt. Es schärft darüber hinaus den Blick für die Gemütslage anderer Menschen und sensibilisiert die emotionale Wahrnehmung. So wurde bei Versuchen festgestellt, dass Mimik und Tonfall von Rednern, die Antworten auf bestimmte Fragen geben mussten, von Probanden unter erhöhtem Oxytocin-Einfluss dezidierter eingeschätzt wurden. Sie konnten klarer darüber urteilen, ob der Befragte wütend, traurig, gleichgültig oder glücklich war. So gesehen, bestimmt die Chemie tatsächlich unsere emotionale Urteilsfähigkeit.
Oxytocin tut übrigens auch Männern gut. Neueste Forschungen setzen darauf, dass sowohl extrem schüchterne Männer ihre Scheu als auch notorische »Betthupfer« ihre Bindungsängste mit dem Kuschelhormon überwinden können. Wissenschaftler der Universität Bonn haben herausgefunden, dass Oxytocin Männer treu macht. Man bekommt es als Hormon-Spray zwar in der Regel nur auf Rezept, aber so manche betrogene Ehefrau soll laut Internet schon versucht haben, es ihrem Partner unter die Nase zu reiben. Ob es auch Frauen treu macht …? Übrigens: Neueste Tests haben ergeben, dass es bei dem Oxytocin-Nasenspray unerwartete, peinliche Nebenwirkungen für die männlichen Probanden gegeben hat. So kam es zu spontanen, emotionalen Ausbrüchen. Einer hat zum Beispiel seinen Arbeitskollegen in Übermacht der Gefühle so innig umarmt, wie es unter Männern eigentlich nicht üblich ist, und andere sollen bei einem netten Satz vom Kollegen in Tränen der Rührung ausgebrochen sein. Na, ja …
Auch wenn alles so »kuschelig« klingt: Oxytocin ist der Garant für höchsten Lustgewinn und wird beim Orgasmus nicht umsonst vermehrt ausgeschüttet. Denn mögen erotische Abenteuer und der Kitzel des Fremden noch so aufregend sein: Letztlich sorgt das Ur-Vertrauen in den zutiefst individuellen Akt der körperlichen, emotionalen und
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