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Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Titel: Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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blühendes Heidekraut, und wo die Bäume aufhörten, war das nackte Gestein so glühend, als wäre der Fels transparent. Die Wolken am Himmel leuchteten wie rotes Feuer, der ganze See glich einem frischen, flammenden Rosenblatt. Die aufsteigenden Schatten ließen die schneebedeckten Savoyer Berge schwarzblau werden, während ihre höchsten Gipfel wie rote Lava schimmerten und noch einmal einen Moment der Gebirgsbildung zeigten, als sich diese Massen, glühend und noch nicht erloschen, aus dem Schoß der Erde hoben. Es war ein Alpenglühen, wie es Rudy und Babette noch nie gesehen zu haben glaubten. Die schneebedeckte Dent du Midi hatte einen Glanz wie die Scheibe des Vollmonds, wenn sie am Horizont heraufsteigt.
    »So viel Schönheit! So viel Glück!« sagten sie beide. – »Mehr hat die Erde mir nicht zu geben!« sagte Rudy. »Eine Abendstunde wie diese ist doch ein ganzes Leben! Immer, wenn ich mein Glück empfunden habe, wie ich es jetzt empfinde, dachte ich: Wenn jetzt alles zu Ende ginge, wie glücklich hätte ich dann gelebt! Wieviel Segen liegt auf dieser Welt! – Und der Tag ging zu Ende, und ein neuer begann, und den fand ich noch schöner. Der Herrgott ist doch unendlich gut, Babette!«
    »Ich bin so glücklich!« sagte sie.
    »Mehr hat die Erde mir nicht zu geben!« rief Rudy aus.
    Und die Abendglocken erklangen von den Savoyer Bergen, von den Schweizer Bergen, im Westen erhob sich im Goldglanz der schwarzblaue Jura.
    »Gott gebe dir das Herrlichste und Beste!« rief Babette aus.
    »Das wird er«, sagte Rudy. »Morgen habe ich es, morgen bist du ganz mein, mein liebe kleine, reizende Frau!«
    »Das Boot!« schrie Babette im gleichen Moment.
    Das Boot, das sie von der Insel zurückbringen sollte, hatte sich losgemacht und trieb auf den See hinaus.
    »Ich hole es«, sagte Rudy, warf seinen Rock ab, riß sich die Stiefel von den Füßen, sprang ins Wasser und schwamm mit kräftigen Zügen hinterdrein.
    Das klare, blaugrüne Eiswasser des Gletschers war kalt und tief. Rudy blickte hinunter, nur ein einziges Mal, und er glaubte einen Goldring rollen zu sehen, blinkend und blitzend – da dachte er an seinen verlorenen Verlobungsring, und der Ring wurde größer, erweiterte sich zu einem funkelnden Kreis, und in seinem Inneren leuchtete der klare Gletscher. Unendlich tiefe Spalten klafften, und das tropfende Wasser klang wie ein Glockenspiel und leuchtete mit weißblauen Flammen. Rudy sah in einem kurzen Moment, was wir mit vielen langen Wörtern beschreiben müssen: junge Jäger und junge Mädchen, Männer und Frauen, alle einmal in den Gletscherspalten versunken, ganz lebendig, mit offenen Augen und lächelndem Mund. Tief darunter läuteten in begrabenen Städten die Glocken, die Gemeinde kniete im Kirchenraum, Eisstücke waren die Orgelpfeifen, auf denen der Bergstrom spielte. Die Eisjungfrau saß auf dem klaren, durchsichtigen Grund, sie hob sich zu Rudy empor, um seine Füße zu küssen – da fuhr ein tödlicher Eishauch, ein elektrischer Stoß durch seine Glieder – Eis oder Feuer, das läßt sich bei einer kurzen Berührung nicht unterscheiden.
    »Mein! Mein!« hörte er rufen und in sich eindringen. »Ich habe dich geküßt, als du klein warst, habe dich auf den Mund geküßt. Jetzt küsse ich dich auf Zeh und Ferse, mein bist du ganz!«
    Und er war im klaren, blauen Wasser verschwunden.
    Alles war still; die Kirchenglocken stellten ihr Läuten ein, ihre letzten Töne erstarben mit dem Glanz der roten Wolken.
    »Mein bist du!« klang es in der Tiefe. »Mein bist du!« klang es in der Höhe, aus dem Unendlichen.
    Wie herrlich, von Liebe zu Liebe, von der Erde in den Himmel zu fliegen!
    Da zersprang eine Saite, ein Trauerton erklang, der Eiskuß des Todes hatte das Vergängliche besiegt; das Vorspiel war zu Ende, damit das Lebensdrama beginnen, der Mißklang sich in Harmonie auflösen konnte.
    Nennst du das eine traurige Geschichte?
    Arme Babette! Für sie war es die Stunde der Angst.
    Das Boot trieb immer weiter hinaus. Niemand an Land wußte, daß das Brautpaar zu der kleinen Insel gerudert war. Es wurde später, die Wolken sanken herab, die Dunkelheit brach herein. Allein, verzweifelt, jammernd stand Babette da. Ein schreckliches Unwetter drohte am Himmel, über den Jurabergen, über dem Schweizerland und über Savoyen war ein Wetterleuchten; zu allen Seiten Blitz auf Blitz, Donnerschlag auf Donnerschlag, das Dröhnen dauerte minutenlang. Bald war es so hell, daß man wie im Glanz der Sonne zur

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