Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)
Mittagszeit jeden einzelnen Weinstock erkennen konnte, und gleich darauf brütete wieder die schwarze Finsternis. Die Blitze bildeten Schleifen, Schlingen, Zickzack, schlugen rundum im See ein und leuchteten allerorten, während der Donner durch das Dröhnen des Echos noch lauter wurde. Auf dem Festland wurden die Boote aufs Ufer gezogen; alles, was lebendig war, suchte Schutz. – Und dann strömte der Regen.
»Wo sind denn nur Rudy und Babette bei diesem schrecklichen Wetter?« fragte der Müller.
Babette saß da, die Hände gefaltet, den Kopf im Schoß, stumm vor Schmerz, vom Schreien und Jammern.
»Im tiefen Wasser!« sagte sie bei sich selbst. »Tief unten, wie unter dem Gletscher, da ist er.«
Sie dachte an Rudys Erzählung vom Tod seiner Mutter und seiner eigenen Rettung, wie man ihn als Leiche aus der Gletscherspalte gezogen hatte. »Die Eisjungfrau hat ihn wieder!«
Da zuckte ein Blitz, so blendend hell wie Sonnenglanz auf weißem Schnee, und Babette fuhr auf. Im gleichen Moment erhob sich der See wie ein schimmernder Gletscher, da stand die Eisjungfrau, majestätisch, blaßblau, schimmernd, mit Rudys Leiche zu ihren Füßen.
»Mein!« sagte sie, und ringsum war wieder Dunkel und Nacht und strömendes Wasser.
»Grausam!« jammerte Babette. »Warum mußte er nur sterben, als der Tag unsres Glücks anbrechen sollte! Gott, erleuchte meinen Verstand und leuchte mir ins Herz! Ich begreife deine Wege nicht, irre blind in deiner Allmacht und Weisheit!«
Und Gott leuchtete in ihr Herz hinein. Ein Gedankenblitz, ein Strahl der Gnade durchfuhr sie, ihr Traum letzte Nacht, ganz lebendig. Sie entsann sich ihrer eigenen Worte, daß sie für sich und Rudy das Beste wünschte.
»Weh mir! War das der Samen der Sünde in meinem Herzen? Habe ich von einem künftigen Leben geträumt, dessen Saite zerreißen mußte, damit ich erlöst würde? Ich Elende!«
So jammerte sie in pechschwarzer Nacht. In der tiefen Stille glaubte sie noch einmal Rudys Worte zu hören, die letzten, die er zu ihr gesprochen: »Mehr Glück hat die Erde mir nicht zu geben!« Sie erklangen in der Fülle der Freude, sie wiederholten sich im maßlosen Schmerz.
Seitdem sind ein paar Jahre vergangen. Der See lächelt, die Ufer lächeln, am Weinstock schwellen die Trauben. Dampfschiffe jagen mit wehenden Fahnen vorüber, Jachten fliegen mit ihren beiden ausgespannten Segeln wie weiße Schmetterlinge über den Wasserspiegel. Die Eisenbahnlinie, die über Chillon und tief ins Rhônetal führt, ist eröffnet. An jeder Station steigen Fremde aus; sie tragen ihr roteingebundenes Reisebuch und lesen sich an, was sie an Merkwürdigem zu besichtigen haben. Wenn sie das Schloß Chillon besuchen, sehen sie die kleine Insel mit den drei Akazien und lesen in ihrem Buch von dem Brautpaar, das in einer Abendstunde des Jahres 1856 dorthin fuhr, vom Tod des Bräutigams, und: »Erst am nächsten Morgen hörte man am Ufer die verzweifelten Schreie der Braut.«
Doch das Reisebuch vermeldet nicht, daß Babette seitdem zurückgezogen bei ihrem Vater lebt, nicht in der Mühle, die jetzt Fremde bewohnen, sondern in einem schönen Haus nahe dem Bahnhof. So manchen Abend schaut sie noch vom Fenster über die Kastanienbäume zu jenen Schneebergen hin, wo sich einst Rudy tummelte, und sieht das Alpenglühen. Dort oben lagern sich die Kinder der Sonne und wiederholen das Lied vom Wandersmann, dem der Wirbelwind den Mantel abriß und entführte: Er nahm die Hülle und nicht den Mann.
Rosenglanz liegt auf dem Schnee des Gebirges, und Rosenglanz ist in jedem Herzen, das den Gedanken birgt: »Gott läßt das Beste für uns geschehen!« Doch nicht immer wird es uns so offenbart, wie es Babette im Traum widerfuhr.
Die heiligen Drei Könige
(Heinrich Heine)
Die heiligen Drei Könige aus dem Morgenland,
sie frugen in jedem Städtchen:
»Wo geht der Weg nach Bethlehem,
ihr lieben Buben und Mädchen?«
Die Jungen und Alten, sie wussten es nicht,
die Könige zogen weiter,
sie folgten einem goldenen Stern,
der leuchtete lieblich und heiter.
Der Stern bleibt stehn über Josefs Haus,
da sind sie hineingegangen;
das Öchslein brüllt, das Kindlein schrie,
die heiligen Drei Könige sangen.
Schneeweißchen
(Ludwig Bechstein)
E s war einmal eine Königin, die hatte keine Kinder und wünschte sich eins, weil sie so ganz einsam war. Da sie nun eines Tages an einer Stickerei saß und den Rahmen von schwarzem Ebenholz betrachtete, während es schneite und Schneeflocken vom Himmel
Weitere Kostenlose Bücher