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Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Titel: Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Hühnern, den einzigen Vögeln zu ebener Erde, mit denen sich Rudy aber nicht einließ.
    Obwohl er so klein war, hatte er doch schon Reisen gemacht, und für so einen Knirps sogar ziemlich weite. Geboren war er im Kanton Wallis, und dann hatte man ihn über die Berge hierhergetragen. Neulich hatte er zu Fuß den nahen Staubbachfall besucht, der vor der schneebedeckten, blendend weißen Jungfrau wie ein Silberschleier in der Luft wogt. Und auf dem großen Gletscher von Grindelwald war er gewesen; aber das war eine traurige Geschichte, denn seine Mutter fand dabei den Tod. »Dort wurde dem kleinen Rudy der kindliche Frohsinn weggeblasen«, sagte Großvater. »In den Briefen seiner Mutter stand, daß er mehr lachte als weinte, als er noch kein Jahr alt war. Aber seitdem er in der Eisspalte gefangen saß, hat sich sein Gemüt völlig verändert.« Großvater sprach sonst kaum davon, doch auf dem ganzen Berg wußte man Bescheid.
    Rudys Vater war, wie wir wissen, Postknecht gewesen; der große Hund, der jetzt in der Stube saß, hatte ihn auf jeder Fahrt über den Simplon zum Genfersee begleitet. Rudy hatte noch einen Onkel, einen Bruder seines Vaters, im Rhônetal, im Kanton Wallis, der ein tüchtiger Gemsenjäger und ein wohlbekannter Bergführer war. Der Junge war erst ein Jahr alt, als er seinen Vater verlor, und nun wollte die Mutter mit ihm heim zu ihrer Familie im Berner Oberland. Einige Wegstunden von Grindelwald entfernt wohnte ihr Vater, der Holzschnitzer war und dabei soviel Geld verdiente, daß er sein Auskommen hatte. Im Monat Juni machte sie sich in Begleitung von zwei Gemsenjägern auf den Weg, um ihr kleines Kind über den Gemmi nach Hause, nach Grindelwald, zu tragen. Schon hatten die Wanderer die längste Strecke hinter sich, hatten die Schneefläche jenseits des Höhenrückens erreicht, schon war das heimatliche Tal mit all den vertrauten, verstreuten Holzhäusern zu erkennen, und als letzte Schwierigkeit war nur noch der oberste Teil des einen großen Gletschers zu überwinden. Der frischgefallene Schnee verdeckte eine Spalte, die zwar nicht bis zu dem tiefen Brunnen, in dem das Wasser brauste, hinunterreichte, aber doch tiefer, als ein Mensch groß war. Die junge Frau glitt mit ihrem Kind im Arm aus, versank und war verschwunden; ihre Begleiter hörten nicht einen Seufzer, nicht einen Schrei, nur das Weinen eines kleinen Kindes. Mehr als eine Stunde verging, bis sie aus dem nächsten Haus Seile und Stangen herbeigeschafft hatten, um, falls noch möglich, Hilfe zu bringen, und mit großer Mühe holten sie aus der Eisspalte zwei Körper herauf, zwei Leichen, wie es schien. Sie wandten alle Mittel an, und es gelang, das Kind, doch nicht die Mutter, ins Leben zurückzurufen. So geschah es, daß der alte Großvater nicht die Tochter, sondern einen Enkelsohn ins Haus bekam, den Kleinen, der mehr lachte als weinte. Aber das war ihm offenbar abgewöhnt worden, eine Veränderung schien mit ihm vorgegangen, während er in der Gletscherspalte war, in der kalten, sonderbaren Eiswelt, wo die Seelen der Verdammten eingeschlossen bleiben bis zum Jüngsten Tag, wie der Schweizer Bauer glaubt.
    Als wäre ein stürmisches Wasser erstarrt und zu grünen Eisblöcken zusammengepreßt worden, so ähnlich liegt der Gletscher da, ein großes Eisstück auf das andere gewälzt. Schmelzwasser von Eis und Schnee rauscht als reißender Strom in der Tiefe; riesige Höhlen, gewaltige Klüfte gibt es im Inneren, einen wunderbaren Eispalast, und darin wohnt die Eisjungfrau , die Gletscherkönigin. Sie, die Todbringende, Vernichtende, ist halb ein Kind der Luft, halb mächtige Herrscherin über den Fluß. Deshalb hat sie einmal die Fähigkeit, sich schnell wie die Gemse zum höchsten Gipfel des Schneegebirges emporzuschwingen, wo sich die kühnsten Bergsteiger als Halt Stufen ins Eis schlagen müssen. Ein andermal schwimmt sie auf einem dünnen Tannenzweig den reißenden Fluß hinunter, springt von einem Felsenblock zum andern und läßt sich von ihrem langen, schneeweißen Haar und ihrem blaugrünen Gewand umflattern, schimmernd wie das Wasser der tiefen Schweizer Seen.
    »Vernichten! Festhalten! Mein ist die Macht!« sagt sie. »Einen schönen Knaben hat man mir gestohlen, und ich hatte ihn geküßt, doch nicht zu Tode. Er ist wieder bei den Menschen, er hütet die Ziegen im Gebirge, klettert hinauf, immer hinauf, fort von den andern, nicht fort von mir. Mein ist er, ich hole ihn!«
    Und sie bat den Schwindel, ihr dabei zu helfen,

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