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Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition)

Titel: Weihnachten - Gedichte und Geschichten: Eine Weihnachtsgeschichte, Nußknacker und Mausekönig, Der Schneemann, Die Eisjungfrau, Schneeweißchen und Rosenrot, ... denkwürdige Neujahrnacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Heine
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Seiten, sie schauten in die Höhe und sahen nun, daß sich auf einem schrägen Felsenabsatz die Schneedecke hob und zu wogen begann, wie ein ausgebreitetes Leinenstück, wenn der Wind darunterfährt. Die Wellenkämme zerbrachen, als wären es Marmorplatten, die sich in schäumendes, stürzendes Wasser auflösten, dröhnend wie gedämpfter Donner. Es war eine Lawine, die niederging, nicht auf Rudy und den Onkel, jedoch sehr nahe, allzu nahe.
    »Halt dich fest, Rudy«, rief der Onkel, »so fest du kannst!«
    Und Rudy umklammerte den nächsten Baumstamm, der Onkel kletterte in die Zweige und hielt sich dort oben fest. Die Lawine ging zwar viele Klafter entfernt von ihnen nieder, doch mit ihrem Luftzug, ihren Sturmflossen, knickte und zerbrach sie Bäume und Sträucher, als wären sie nur trocknes Schilf, und warf sie weit umher. Rudy kauerte auf der Erde; der Baumstamm, an dem er sich festhielt, war vom Sturmwind wie abgesägt und die Krone ein weites Stück fortgeschleudert. Dort, zwischen den zerknickten Zweigen, lag mit zerschmettertem Kopf der Onkel, seine Hand war noch warm, doch sein Gesicht nicht mehr zu erkennen. Blaß und zitternd stand Rudy davor; ihn befiel zum ersten Mal Entsetzen, es war die erste Schreckensstunde seines Lebens.
    Am späten Abend kehrte er mit der Todesbotschaft heim, und Trauer erfüllte nun das Haus. Die Gattin hatte keine Worte, keine Tränen, und erst als man die Leiche brachte, kam ihr Schmerz zum Ausbruch. Der arme Kretin verkroch sich ins Bett, war den ganzen Tag nicht zu sehen, und gegen Abend ging er zu Rudy.
    »Schreib Brief für mich! Saperli kann nicht schreiben. Saperli kann Brief zur Post bringen.«
    »Brief von dir?« fragte Rudy. »Und an wen?«
    »An den Herrn Christus!«
    »Wen meinst du damit?«
    Und der Halbverrückte, den die Leute den Kretin nannten, sah Rudy mit rührendem Blick an, faltete die Hände und sagte ganz feierlich und fromm: »Jesus Christus! Saperli will ihm Brief schicken, will ihn bitten, daß Saperli tot sein darf und nicht Mann im Haus!«
    Da drückte Rudy ihm die Hand. »Dieser Brief kommt nicht an. Dieser Brief bringt uns den Mann nicht zurück.«
    Es fiel Rudy schwer, dem Saperli diese Unmöglichkeit zu erklären.
    »Nun bist du die Stütze des Hauses«, sagte die Pflegemutter, und Rudy wurde es.

IV. Babette
    W er ist der beste Schütze im Kanton Wallis? Ja, das wußten die Gemsen. »Nimm dich in acht vor Rudy!« konnten sie sagen. »Wer ist der schönste Schütze?« – »Ja, das ist Rudy!« sagten die Mädchen, doch sie sagten nicht: »Nimm dich vor Rudy in acht!« Das sagten nicht einmal die ernsthaften Mütter, denn ihnen nickte er ebenso freundlich zu wie den jungen Mädchen. Er war so keck und munter, mit braunen Wangen, leuchtend weißen Zähnen und glänzenden kohlschwarzen Augen – er war ein schmucker Bursche und nicht älter als zwanzig Jahre. Ihn biß das kalte Eiswasser nicht beim Schwimmen; wie ein Fisch konnte er sich im Wasser drehen, konnte klettern wie kein anderer, wie eine Schnecke konnte er sich an die Felsenwand festkleben. Daß er gute Muskeln und Sehnen besaß, zeigte er auch beim Springen, er hatte es zuerst vom Kater gelernt und dann von den Gemsen. Wollte man sich dem besten Bergführer anvertrauen, dann ging man zu Rudy; der hätte damit ein ganzes Vermögen verdienen können. Er hatte beim Onkel auch das Böttcherhandwerk erlernt, doch danach stand ihm nicht der Sinn; seine Lust und sein Verlangen war die Gemsenjagd, und die brachte auch Geld ein. Rudy war eine gute Partie, wie es hieß, er durfte nur nicht über seinen Stand hinausschauen. Beim Tanzen war er einer, von dem die Mädchen träumten, und so manche dachte auch wachend an ihn.
    »Er hat mich beim Tanz geküßt!« hatte Schullehrers Annette ihrer liebsten Freundin anvertraut; aber das hätte sie nicht erzählen sollen, nicht einmal ihrer liebsten Freundin. Dergleichen kann man nicht leicht für sich behalten, das ist wie Sand in einem durchlöcherten Sack und läuft aus. Wie brav und anständig Rudy auch war, so war doch bald bekannt, daß er beim Tanzen geküßt hatte; und dabei hätte er diesen Kuß viel lieber einer anderen gegeben.
    »Der hat es hinter den Ohren!« sagte ein alter Jäger. »Er hat Annette geküßt, er hat mit A angefangen und wird wohl das ganze Alphabet durchküssen.«
    Ein Kuß beim Tanz, mehr gab es vorerst über Rudy nicht zu klatschen, aber er hatte Annette geküßt, und sie war gar nicht die Blume seines Herzens.
    Unten in Bex,

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