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Weihnachten mit Mama

Weihnachten mit Mama

Titel: Weihnachten mit Mama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Thanner
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spätestens gegen zweiundzwanzig Uhr davon, angeblich, um zur Christmette zu gehen, in Wahrheit aber, um noch auf irgendeiner lärmenden Christmasparty ihrer Freunde »abzuhängen«. Am ersten Feiertag schlief sie aus, ließ sich zu Mittag mit Gans und Rotkraut und Semmelknödeln verwöhnen und verabschiedete sich dann mit stürmischen Küssen von Mama und Papa, um irgendwohin in die Skiferien zu fahren. Wenn Robert mit seiner Familie eintraf, war sie buchstäblich schon über alle Berge.
    Und Laura? Laura war ein Spezialfall. Das Model hatte ja immer irgendwo auf der weiten Welt ein Shooting , bevorzugt in deutlich wärmeren Gefilden und mit entsprechend spärlicher Bekleidung. Es gab Jahre, da schaffte sie es pünktlich zu Mom & Dad , dann wieder schneite sie wie eine Weihnachtsfee irgendwann für ein paar Stunden herein, zwischen zwei Flügen, zwischen drei Terminen, jedes Mal mit einem anderen Lover, der sie verliebt anblickte und die Hände nicht von ihr lassen konnte. Er hieß Jean-Luc, Jonathan oder Jonas, sah wahnsinnig gut aus und war wahnsinnig nett. Doch man vergaß Lauras jeweiligen Begleiter, sobald er zur Tür hinaus war. Und das war gut so, denn niemand hatte genauen Einblick in Lauras Beziehungsplan, gegen den der Abflugplan eines metropolitanen Airports vermutlich ein vergleichsweise simples Konstrukt war. Lauras Liebesleben war … nun ja … kompliziert, um es nett auszudrücken. Was eine auf Konvention bedachte Frau wie Mama in regelmäßige Besorgnisanfälle stürzte.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann die Familie Weihnachten zuletzt vollständig und gleichzeitig bei Mama und Papa gewesen war. Es war vielleicht fünfzehn Jahre her, als Dorle und Laura noch in den Kinderschuhen steckten und sich über Barbies wechselnde Kleiderkollektionen freuten. Möglicherweise war es auch an jenem Weihnachtsfest, als ich der Familie Julie vorstellte, die damals noch nicht Kinderbuchautorin war, sondern die hübscheste Kommilitonin auf dem Campus. Eine französische Austauschstudentin aus Marne, die schon ein vorzügliches Deutsch mit niedlichem Akzent sprach, während meine Französischkenntnisse nicht über Je t’aime und Voulez-vous coucher avec moi hinausreichten. Was ihr aber zu genügen schien. Wir waren erst ein paar Monate zusammen, die Liebe war überwältigend, die Zukunft himmelblau, es regnete rote Rosen. Ich fand Weihnachten überaus passend für diese erste Konfrontation mit meiner Familie, sodass auch Julie sich ein Herz fasste und auf Mamas überschwängliche Begrüßung mit einem Knicks reagierte. Mit einem Knicks! Damit hatte diese süße kleine Französin das Herz meiner Mutter für immer erobert, auch wenn sie später nie wieder knickste. Papa hatte sie mit einem anerkennenden, wohlwollenden Knurren willkommen geheißen, nicht verwunderlich, er war stets empfänglich für weibliche Schönheit.
    So lag über dem damaligen Weihnachtsfest ein ganz eigener Zauber. Hatte ich bereits erwähnt, dass Mama über die sich in den folgenden Jahren entwickelnde Routine des »Patchwork-Weihnachten« alles andere als glücklich war? Oft schon hatte sie gebettelt und gefleht, doch mal wieder »ein richtiges Familienfest« zu feiern. »Meine Güte, ist denn das zu viel verlangt?« Es passte einfach nicht in ihre Vorstellung von Weihnachten, dass zumindest ihre beiden Ältesten ja bereits eine eigene Familie mit einem gewissen Vorrang, was das Fest betraf, hatten. Julie jedenfalls war – wie gesagt – nur alle zwei Jahre zu bewegen, den Weihnachtsstern in München zu
suchen.
    Dieses Jahr gab es keinen Pardon, keine Ausrede, keine Ausflucht. Mama feierte ihren Fünfundsechzigsten, und sie würde es am Heiligabend tun. Sie hatte sich gewünscht, dass alle kämen. Also würden alle kommen. Ich gestehe, dass mich diese Aussicht anfangs sogar entzückte, denn ich habe viel Familiensinn. Ich freute mich darauf, endlich einmal die ganze Familie wiederzusehen und um einem großen Tisch herum versammelt zu finden.
    Ich hatte keine Ahnung, was mich erwartete. Aber ich hätte es wissen können, denn es ist ja bekanntlich so mit den Familienfesten: Die Feste sind immer so, wie die Familien sind. Niemals anders. Das ändert sich nicht. Es ist eine der wenigen sozialen Konstanten.
    Julie kannte meine Familie trotz gelegentlicher Besuche nur oberflächlich. Zuletzt hatte sie so viele Angehörige »von meiner Seite« zusammen auf unserer Hochzeit gesehen und erlebt. Dieses Fest ging unter in einem Meer von Tränen und

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