Weihnachtsengel gibt es doch
Gebrauch machen. Nehmen Sie es nicht persönlich, Maureen, aber Sie haben die Mädels da oben aufgereiht wie Gefangene vor dem Erschießungskommando.“ Bevor sie etwas erwidern konnte, stand er auf und schnappte sich seine Gitarre. Als er aus der Kirchenbank trat, ging er so nah an ihr vorbei, dass ihre Körper einander streifen. Sie spürte seine Wärme, nahm seinen Geruch wahr, und eine Sekunde lang stand sie kurz vor einem Ohnmachtsanfall.
Er lächelte sie mit wissenden blauen Augen an. „Entschuldigen Sie mich“, sagte er. Er ging zur Bühne und sah aus wie ein Riese inmitten eines Meeres aus kleinen Leuten. Dann ertöntendrei tiefe, elektronisch verstärkte Akkorde. Es war, als wenn Elvis höchstpersönlich das Gebäude betreten hätte. Jeder hielt für ungefähr drei Sekunden wie erstarrt inne. Dann hatte Eddie die Bühne erreicht und teilte aus einem am Bühnenrand stehenden Karton Tamburins, Triangeln und Rumbarasseln aus. Er fing an, „Joy to the World“ zu spielen, aber nicht die traditionelle, ruhige Version, sondern die moderne von Three Dog Night. Innerhalb weniger Minuten sangen die Kleinen „Jeremiah war ein Ochsenfrosch“ und hüpften über die Bühne. Maureen war hin- und hergerissen zwischen Wut und Belustigung. Sie traute sich nicht, einen Blick zu den hinteren Reihen mit den Eltern zu werfen. Die dachten bestimmt, sie hätte gleich am ersten Tag die Kontrolle verloren.
Das letzte „Freude für dich und mich“ ertönte, und dann setzte Eddie sich in die Mitte der Kinder und spielte noch ein paar Akkorde. Irgendetwas passierte in diesem Moment – sein Gesicht und sein Auftreten veränderten sich, als wenn er irgendwo anders wäre, oder vielleicht wurde er von der Muse überfallen und verwandelte sich deshalb in eine vollkommen andere Person, als er anfing zu singen.
Die Kinder fielen mit ein, und die Magie der Weihnacht schien sie alle zu erfassen. Ihre Gesichter glühten, ihre Stimmen schwebten zu den Dachsparren. Er verstand es meisterhaft, sie aus den Tiefen ihrer Herzen singen zu lassen. Jeder durfte eine oder zwei Zeilen ganz alleine singen.
Maureen war so fasziniert, dass sie ganz vergaß, sich Notizen zu machen. Aber das war auch egal. Sie wusste, dass der Kinderchor mit Eddies Hilfe sehr gut werden würde. Es war ein so einzigartiger Augenblick, dass sie ihren Zeitplan beiseitelegte und sich einen Moment setzte, um zuzuhören.
Sie wusste, dass er singen konnte. Jeder wusste, dass Eddie Haven singen konnte. Aber sie hatte ihn noch nie dabei aus nächster Nähe beobachten können. Und sie hatte ihn nie live spielen hören. Ray Tolley schlüpfte neben ihr in dieBank. Sie kannte Ray ihr ganzes Leben lang, wenn auch nur flüchtig. Er war ein paar Jahre älter als sie. Und offensichtlich war er mit Eddie befreundet.
„Du siehst verblüfft aus“, sagte er.
„Ich wusste nicht, dass er …“ Ihre Stimme verebbte. Ihr Verstand konnte diesen neuen Eddie noch nicht ganz fassen.
„Ja, er kann sehr gut mit Kindern umgehen. Wusstest du, dass er in der Stadt ein Musikprogramm für Jugendliche leitet?“
„Das klingt zu gut, um wahr zu sein.“
„Nein, versteh mich nicht falsch, er kann manchmal ein ganz schönes Arschloch sein, wie jeder. Aber für seine Arbeit mit den Kindern hat er meinen Respekt.“
„Das wird ein großartiges Krippenspiel“, murmelte sie.
„Daran gab es nie einen Zweifel.“
Oh doch, den gab es, dachte sie. Sie hatte total an Eddie gezweifelt.
Er beendete das Vorsingen mit den Kleinen und kehrte zu ihr zurück, um Ray zuzuhören, der wieder übernahm.
„Danke“, sagte sie.
„Ich mache nur meinen Job.“
Am Ende der ersten Stunde war Maureen bester Dinge. Die Schüler waren talentiert und engagiert, und das machte ihr Hoffnungen für die Aufführung. Sie schnappte sich ihr Klemmbrett und fing an zu schreiben. Ihre Notizen waren umgeben von Sternen und Smileys. Ein klarer Aufbau des Spiels nahm in ihrem Kopf Gestalt an, in dem kleine Engel, Schäfer und Chormitglieder vorkamen. Ihr fiel auf, dass Eddie sich immer noch keine Notizen machte. Er saß zurückgelehnt da, ein Bein über das andere geschlagen, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und hörte mit höflicher Aufmerksamkeit zu. Einmal beugte sie sich zu ihm hinüber und fragte: „Sind Sie wirklich sicher, dass Sie sich keine Notizen machen wollen?“
„Ich muss mir nichts aufschreiben“, sagte er. „An diejenigen, die mir gefallen, erinnere ich mich. Mrs Bickham hat die Besetzung
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