Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
Schliff, die Kerzen wurden angezündet. Wie jedes Jahr mußten wir Kinder uns noch einmal ordentlich die Haare kämmen, Hände waschen, dann erst war der große Augenblick, in dem wir in die Lichterglanzstube eingelassen wurden. Es war jedes Jahr dasselbe, alles exakt, das Lametta, die Kugeln, die Süßigkeiten so ordentlich, es hing aber auch nicht ein Teilchen am Weihnachtsbäumchen schief. Die üblichen Geschenke wurden ausgepackt, die Freude war immer sehr groß. Dann kam der Moment, den ich persönlich haßte. Es mußten Weihnachtslieder gesungen werden. Mir gefiel das gar nicht, denn die ganze Familie verlor Tränen dabei, ja, selbst der strenge Vater mußte welche unterdrücken. Ich mußte immer am meisten weinen. Warum, weiß ich nicht. Es lag wohl an der ganzen Atmosphäre, der Feierlichkeit. Aber wehe, ich sang nicht mit, dann war was los. Ich kann bis heute nicht begreifen, warum dieser Zwang da war, wenn doch alle heulten. Es mußte wohl so sein, weil das Singen zu jedem Fest gehört. Ich war immer froh, wenn der Kampf vorbei war.
Nun muß ich aber von einem Weihnachtsfest berichten, das für mich ganz anders ausging.
Erst verlief alles wie sonst. Mutter hatte in jenem Jahr einen Streuselkuchen gebacken. Das Kuchenblech strahlte mich schon am Nachmittag förmlich an, dann dieser Duft, der in der Luft lag, diese dicken Streusel obendrauf, einfach lecker. Die Versuchung war sehr groß, ja, ich konnte nicht widerstehen und knipste mir kleine Stückchen ab. Meinem Bruder gab ich auch etwas, doch ich aß mehr davon. Es dauerte natürlich nicht lange, bis Mutter das merkte. «Wer war das?» Warum diese Frage? Mein Bruder war zu klein, meine Schwester aß nicht gern Süßes, ich war als Naschkatze bekannt. Die Frage war also überflüssig. Kurzum, ich bekam welche hinter die Ohren, durfte nicht mit in die Kirche und mußte mich ins Bett legen.
Wir selbst hatten noch kein Telefon, doch unser unmittelbarer Nachbar. Laut hörte ich Mutter sagen: «Ich gehe jetzt zu Kamrahts und rufe von dort aus an, daß sie dich heute noch abholen vom Birkenhof.» Die Korridortür klappte zu. Birkenhof, das muß ich erklären, ist in Hannover ein Heim für schwererziehbare Kinder. Egal, was immer ich auch anstellte während meiner Kindheit, mir wurde damit gedroht. Ich weinte ununterbrochen in meinem Bett. Die unmöglichsten Gedanken gingen durch meinen Kopf. War es denn so schlimm, was ich angestellt hatte? Dafür für immer in dieses Heim? Ich zitterte am ganzen Körper, flehte zum lieben Gott, er möge es nicht geschehen lassen. Da lag ich nun unter meiner Bettdecke, schwitzend vor Angst, und wartete, was da kommen würde.
Wieder ging die Korridortür, und ich konnte Stimmen hören, doch nicht, was gesprochen wurde. Es war wohl die ganze Aufregung. So wartete und wartete ich Stunden.
Die Kirchenglocken läuteten schon, also mußte Mutter sich doch mit den anderen beiden Geschwistern langsam auf den Weg zur Kirche machen. Nun hörte ich, daß sie losgingen. Ich lauschte immer nur auf die Haustürglocke und wann man mich abholte. Es war grausam, was ich durchmachte.
Gott sei Dank, es kam nicht so! Mein Flehen zum lieben Gott hatte wohl doch etwas genützt.
Dieses Weihnachtsfest vergesse ich natürlich nie, solange ich leben werde. Den Birkenhof gibt es heute noch, und da mein Mann und ich in Hannover leben, bleibt es nicht aus, daß ich auch außerhalb der Weihnachtszeit an diese schrecklichsten Stunden meiner Kindheit erinnert werde.
Möge kein Kind dieser Welt so etwas erleben.
Peter Spangenberg
Woronin spielt Mundharmonika
Der Junge hatte eines Tages die Mutter gebeten, seinen Freund einladen zu dürfen. Da sie längst um die tiefe Bindung der beiden wußte, stimmte sie gern und sofort zu. Der russische Kriegsgefangene Michael Woronin hatte dem Jungen das Schachspielen beigebracht. Wirkliche Freunde waren sie geworden und erzählten sich gegenseitig von Dörfern, Menschen und Tieren.
So also kam dieser Dezembertag im Jahr 1944. Die Mutter hatte alles liebevoll vorbereitet. Schmalz stand auf dem Tisch und selbstgemachter Käse lag daneben. Das Brot ruhte fast feierlich auf der Holzplatte. «Unser täglich Brot gib uns heute» war in den Teller eingeschnitzt.
Da klingelte es an der Tür. Wie ein Wiesel flitzte der Junge zum Eingang, riß die Tür auf und — erstarrte.
Vor ihm standen zwei deutsche Soldaten.
Ob jemand zu Hause sei?
Natürlich! Klar. Ja doch, stammelte er, die Mutter.
Ob sie hereinkommen
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