Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
könnten?
Der Junge zögerte. Was würde mit Michael? Wenn er gerade jetzt käme?
Ohne ein Wort zu sagen, ließ der Junge die Soldaten an der Tür stehen, eilte in die Küche, hastete die Nachricht heraus. Was würde die Mutter sagen? Sie entschloß sich sofort, ging zur Haustür, bat die Soldaten herein und forderte sie auf, ihre langen Mäntel abzulegen.
Major Hauglitz, stellte sich der eine vor.
Oberleutnant Marxleben, ergänzte der andere die kleine Szene. Seine schwarze Uniform machte dem Jungen großen Eindruck.
Bitte, treten sie näher, sagte die Frau unbeholfen und konnte nicht verhindern, daß ihr hektisch-rote Flecken den Hals hinaufkrochen.
In der Küche blieben die Männer wie angewurzelt stehen, sahen die Lichter, den gedeckten Tisch, spürten die Wärme.
Sie erwarten Besuch?
Ja.
Wir möchten nicht stören.
Sie stören nicht.
Und wie sie stören, dachte der Junge.
Sie stören wirklich nicht, beteuerte die Frau.
Nachdem wir aus dem Lazarett kamen, begann Marxleben, mußten wir unsere Einheiten suchen. Ein Lastwagen nahm uns mit. Es ist eben alles durcheinander.
Sie stören wirklich nicht, wiederholte die Frau.
Sie merkte, daß alles immer peinlicher wurde.
Die Männer nahmen Platz, die Frau goß Kaffee ein, den sie aus gebrannten Lupinen gezaubert hatte. Sie saßen nun alle am Tisch, erste Sätze über das Woher und Wohin wurden getauscht, über die Zeiten, über den Krieg und über den Frieden. Es klingelte. Der Junge sprang auf, hochrot im Gesicht, und ging langsam zur Tür. Michael! Da stand er. Endlich. Jetzt müßte ein Wunder geschehen.
Was ist los mit dir, Brüderchen? fragte Woronin sofort. Mit scharfem Blick hatte er die Veränderung des Jungen erkannt.
Nichts. Gar nichts. Wirklich nichts, stotterte der.
Brüderchen, wir wollten immer ehrlich zueinander sein. Will deine Mutter nicht, daß ich komme? Hast du Angst? Bin ich wieder der Feind?
Nein! — Der Junge begann zu weinen.
Da legte der Russe seinen Arm um ihn, und wie im Traum führte der Junge den Gefangenen zur Küche. Er öffnete die Tür und sagte schluchzend:
Das ist Michael, mein Freund.
Der Russe übersah die Situation sofort, erkannte die Uniformen, die Dienstgrade, war nur für Sekunden verlegen, verbeugte sich dann leicht und sagte mit befreiendem Lächeln:
Michael Woronin, Leutnant der Roten Armee, 24 Jahre, unverheiratet, Gefangener in diesem Dorf.
Die beiden deutschen Offiziere erhoben sich. In ihren Gesichtern zeichnete sich ungläubiges Staunen ab. Woronin verbeugte sich leicht vor der Frau und sagte schlicht:
Ich danke für die Einladung.
Mit diesen Worten übergab er ihr ein schmales Päckchen. Die Männer standen und schwiegen. Die Mutter wickelte das grobe Papier ab und hielt ein geschnitztes, wundervoll gearbeitetes Holzkreuz in Händen.
Wieso? — brach es aus ihr heraus. — Wieso?
Weil ich vom Brüderchen weiß, daß Ihr Herz daran hängt.
Es begann alles im Stall von Bethlehem... tönte es plötzlich durch den Raum.
Sie sahen zu dem Sprecher: Da stand Oberleutnant Marxleben mit einem Gesichtsausdruck, als hätte er das Selbstverständlichste von der Welt gesagt. Dann ging er auf den Russen zu, die Männer schüttelten sich die Hände, Hauglitz schloß sich an. Die Frau stellte noch zwei Gedecke auf den Tisch, der Kaffee roch plötzlich nach Bohnen, das Schmalz schmeckte nach Frieden. Marxleben erzählte, daß er mitten aus seiner Kirchenmusikerausbildung an die Front gekommen sei, Hauglitz berichtete aus der Landwirtschaft und Woronin erzählte aus der Steppe. Dann zog er die Mundharmonika aus der Tasche und spielte. Die beiden Deutschen trommelten mit den Fingern. Hauglitz bat den Russen um das Instrument, setzte es an die Lippen, Woronin stand auf und tanzte zu den Melodien des Majors.
Draußen war es dunkel geworden. Die Kerzen strahlten, der Gefangene tanzte, und irgendwo tobte der Krieg. Weit weg.
Walter Striezel
Das vierblättrige Kleeblatt
Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, so wandern die Gedanken zuerst zu meinen drei Freunden. Wir waren unzertrennlich und wurden von unseren Eltern liebevoll Das vierblättrige Kleeblatt genannt. Ich war der Jüngste von uns vieren und war natürlich sehr stolz darauf, zu diesem Kleeblatt zu gehören.
Kurz vor unserem Haus hatten wir eine wunderbare Rodelbahn. Das war eine Bahn mit allen Schikanen. Es gab eine große Holper, eine sehr gefährliche Kurve, und am Ende der Bahn mußte eine enge Begrenzung durchfahren werden. Wir vier
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