Weihnachtsgeschichten am Kamin 02
übernachtet, um am anderen Morgen per Taxi überraschend bei uns auftauchen zu können. Für ihn ging damit ein langgehegter Wunsch in Erfüllung.
An Heiligabend bastelte er den ganzen Tag an irgend etwas herum: Christbaumständer herstellen, Baum schmücken, Sack und Rute besorgen, Nikolauskleidung zusammenstellen und Maske aus weißem Stoff, Watte und Deckfarben anfertigen. .. Improvisation war alles!
«Nach dem Krieg habe ich das auch immer so gemacht», erzählte er und lebte richtig auf.
Vater hatte ein Feuer im Kamin angezündet. Weihnachtslieder von Opas mitgebrachter Kassette und edle Bratendüfte durchfluteten das Haus. Alle warteten auf den Weihnachtsmann.
Opa, in seiner Lieblingsrolle als Weihnachtsmann, übertraf sich selbst. Noch einmal, nach dreißigjähriger Pause, zog er alle Nikolausregister. Es sollte sein letztes Weihnachtsfest sein.
Ganz zum Schluß kam der kleine Klaus an die Reihe. Er saß auf Papas Schoß, weit fort vom Nikolaus. Als er sein Gedichtchen aufgesagt hatte, sagte er leise: «Du, Nikolaus, hast du vielleicht dem Opa seine Stiefel geklaut? Der Opa hat auch solche Stiefel.» Nikolaus nahm es ihm nicht weiter übel und klärte den Fall auf: «Weißt du, in Deutschland haben alle Weihnachtsmänner und Opas solche Stiefel, und ich komme ja direkt von dort, über das Elbruzgebirge, geradewegs in dein Haus. Nun komm einmal her, gib dem Nikolaus ein Küßchen und hol dir deine Geschenke aus dem Sack.» Näher als zwei Meter aber traute sich der kleine Kerl nicht heran und sagte nur: «Gib!» Nun schaltete sich auch Mama ein: «Papa, ach nein, Nikolaus, gib es ihm doch bitte.» Daß sie sich auch immer wieder versprechen mußte!
Als Nikolaus fort war, kam auch der Opa wieder. Kläuschen lächelte mitleidig: «Du bist aber ein Angsthase! Du brauchtest dich doch nicht im Keller zu verstecken. Aber, Opa, der Nikolaus hatte, glaube ich, doch deine Stiefel an.»
Sabine Lohse
Die Frau mit der roten Strickjacke
oder
Der Pfefferminzlikör
In stillen Stunden der Vorweihnachtszeit hatten meine Mutter und ich uns viele Male vorgestellt, was für eine Überraschung es wohl sein würde, wenn ich die Großeltern völlig ohne Ankündigung zum Weihnachtsfest besuchte. So mir nichts, dir nichts stünde ich auf dem Bahnsteig. Großmutter und Großvater lebten bereits 35 Jahre auf dem Bahnhof des Dorfes, in dem ich auch geboren wurde und fünf Jahre gewohnt hatte.
Der Zug rollt ein, ich bin voller Erwartungen, schaue mich um, steige die hohen, unbequemen Stufen des Personenwagens hinunter, gehe auf den älteren Herrn in Uniform zu und halte ihm mit beiden Händen die Augen zu. «Kind, um Himmels willen, wo kommst du denn her?» Wir herzen und drücken uns und sind über und über glücklich. Im Traum kann es gar nicht schöner sein.
Leider ist es aber niemals so gewesen, denn meine Großeltern wohnten in der DDR, und eine Überraschungsreise konnten wir nur in unserer Phantasie planen. Die Gedanken, die meine Mutter und mich damals fröhlich machten, konnten nur wir beide verstehen, und wir empfanden eine innige Verbundenheit dabei. Nur sie und ich wußten, wie sehr meine Großeltern mich liebten und was es für sie bedeutet hätte, mich, ihr Enkelkind, das sie fünf Jahre lang großgezogen hatten, einmal wiederzusehen. Acht Jahre waren vergangen, seit ich von den beiden lieben Menschen getrennt wurde. Als meine Eltern und ich mit dem Flugzeug von Tegel nach Langenhagen flogen, ahnte ich noch nicht, daß ich sie nun für lange, lange Zeit nicht mehr besuchen durfte.
Nun, die Jahre vergingen, ich wurde älter, und meine Eltern wollten es wagen, mich in den Weihnachtsferien alleine zu den Großeltern reisen zu lassen. Nicht ganz ohne Herzklopfen brachten mich Mutter und ein netter Nachbar zum Bahnhof. Ein eigenes Auto hatte unsere Familie noch nicht erworben und so baten wir Herrn Meier, uns zu helfen, denn mein Koffer war groß und schwer, gefällt mit vielen guten Dingen, die man in der DDR nicht kaufen konnte oder die dort sehr teuer waren. Herr Meier, ein großer, stattlicher Mann in den besten Jahren, half uns gern. Nicht zuletzt, weil er einen nagelneuen Käfer besaß, auf den er recht stolz war.
Dann rollte der Zug aus dem Bahnhof, ein paar Tränen kullerten die Wangen meiner Mutter herab, und wir winkten uns zu, bis das weiße Taschentuch in unseren Händen nicht mehr zu erkennen war.
Ich hatte nette Reisegesellschaft. Ein Herr aus Chicago fuhr mit mir im selben Abteil bis West-Berlin.
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