Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Gänseflügel befestigt.
Ich begriff nichts: Unser gutes Essen unterm Bett, singende Engel, der Lehrer mit dem Taktstock...
Nach mehreren Liedern eine kleine Ansprache.
Die Eltern bekamen ein Paket, mein Bruder eine Trommel, ich ein Püppchen. Dann knicksten die Engel, meine gerührten Eltern bedankten sich, und wir waren wieder allein.
Komisch, bis auf meinen Bruder, der fürchterlichen Krach auf seiner Trommel machte, fühlten wir uns nicht ganz wohl, trotz Puppe, Rosinenbrot, Schokolade, Butter und Kuchen.
Ich habe noch lange denken müssen: Warum kamen die Engel nicht, als wir noch arm waren? Dann hätten wir unseren Reichtum nicht verstecken müssen.
Aber von dem Abend an behandelten uns die Dorfbewohner nicht mehr wie ungebetene Fremde.
Das hatten wir sicher den Engeln zu verdanken.
Ruth Schmidt
Ein unvergleichlicher Vierundzwanzigster
Je länger ich darüber nachdenke, desto weniger stimmt dieser Titel, denn eigentlich waren alle Vierundzwanzigste unvergleichliche Tage, solange das Haus noch von den Kindern bewohnt und belebt war. Vom frühen Morgen an — und in den Kinderzimmern begann der Tag des Heiligabend zu nachtschlafender Zeit — schien das Haus zu vibrieren vor Spannung und Aufregung oder hektischer Tätigkeit.
Ich weiß nicht, warum mir unter den vielen ausgerechnet dieser eine Vierundzwanzigste so besonders in Erinnerung blieb; vielleicht, weil ich auf eine besonders ungewöhnliche Weise wach wurde. Etwas polterte neben meinem Bett, dann hörte ich ein kurzes Trapptrapp und ein Klappen der Schlafzimmertür; ich machte erschrocken die Nachttischlampe an und erschrak noch mehr: auf dem Nachttisch stand, in rotem Stanniolpapier, der Oberkörper eines Weihnachtsmannes. Er stand sozusagen auf seinen Ellbogen, und man wird zugeben, daß dies ungewöhnlich ist.
Ich setzte mich auf und nahm die Büste an mich, und in diesem Augenblick stürzte ein kleiner Bursche ins Zimmer, Arne, unser Zweiter. Wie immer hatte er mit seinen Geschenken nicht bis zum Abend warten können, er brachte es nicht über sich, auf seiner Überraschung noch einen Augenblick länger sitzenzubleiben. Seine braunen Augen strahlten, und meine Überraschung war ungeheuchelt; ich konnte behaupten, noch niemals einen solchen Weihnachtsmann gesehen, geschweige denn bekommen zu haben.
Arne hüpfte aus dem Zimmer, um seine anderen Überraschungen loszuwerden, und ich betrachtete erneut den Weihnachtsmann, der mir irgendwie bekannt vorkam. Hatte ich nicht beim Aufräumen in Arnes Schrank etwas Rotes gesehen, nur etwas länger? Vorsichtig rollte ich das Stanniolpapier am unteren Ende hoch, und nun sah ich den Schokoladenrand mit einem zierlichen Muster von Zähnen, und es kam mir die rechte Erklärung für den Schrumpfungsprozeß: Ich erinnerte mich daran, daß Arne bereits Anfang Dezember stolz erklärt hatte, mit seinen Weihnachtseinkäufen fertig zu sein. Und hatten bei Arne Süßigkeiten je länger als ein paar Stunden gehalten? Ich sah seine abendlichen Kämpfe vor mir, vom Bett aus einen kleinen Abstecher zum Schrank zu machen. Die Büste war das Ergebnis mühsam erkämpfter Enthaltsamkeiten.
Inzwischen war auch Jan, der Vater, wach und entdeckte in seinem Schuh eine unangebrochene Schachtel Zigaretten. Und da Kranke auch am Heiligabend betreut werden wollen, vielleicht ganz besonders an diesem Tag, verabschiedete er sich gleich nach dem Frühstück, um Visite zu machen. Den Kindern versprach er, viel früher als sonst zurück zu sein.
An jedem Vormittag des Vierundzwanzigsten ist es das gleiche: Die Kinder versammeln sich im Zimmer von Jens, dem Ältesten. Es liegt im Parterre und direkt gegenüber der Küche, so daß sie den besten Einblick haben in alle Ereignisse, die sich im Hause abspielen — wie kurze Besuche von Nachbarn oder den jeweiligen Stand meiner Vorbereitungen in der Küche.
Jens ist dann ein geduldiger Gastgeber; die Geschwister dürfen sich richtig wohl bei ihm fühlen. Zu jeder Zeit ist er außerdem Carolines Helfer und Beschützer, und das kann sie heute besonders gut brauchen. Sie hatte noch keine Zeit, sich fertig anzuziehen, sondern sitzt in Nachthemd und Stiefeln an Jens’ Schreibtisch, wo sie einen Engel für Papa malt. Vorläufig ist es ein riesiges Kleid mit Puffärmeln und großen roten Tupfen auf grünem Faltenwurf.
Plötzlich ertönt ein herzergreifendes Schluchzen, das gar nicht aufhören will. Aber während ich mir noch die Hände spüle vom Kartoffelschälen, wird es wieder still,
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