Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
Das zuckende Blaulicht in der stockdunklen Nacht steigerte meine Erregung und die meiner Freunde und der übrigen Gaffer noch beträchtlich, und daß es bei Lübbendorf brannte und nicht bei uns, machte das ganze Ereignis zunächst zu einem ungetrübten Vergnügen.
Leider holten mich meine Eltern bald wieder in das Haus, und die Bescherung nahm ihren Fortgang. Obwohl ich an diesem Weihnachtsfest lang gehegte Wünsche erfüllt bekam — an einen Fußball kann ich mich erinnern kam die weihnachtliche Stimmung nicht mehr auf. Meine Gedanken waren bei dem Brand in der Jugendstilvilla der hochnäsigen und reichen Familie Lübbendorf.
Um Mitternacht ging ich wie immer mit meinen Eltern in den Weihnachtsgottesdienst, und wie immer war die Kirche brechend voll — sonst wäre es auch nicht Weihnachten gewesen. In dem Gedränge — ich traute meinen Augen nicht — erkannte ich auch die ganze Familie Lübbendorf, die man seit Jahren dort nicht mehr gesehen hatte. Ihr Anblick und die Gedanken, wie es wohl mit dem Brand weitergegangen war, nahmen mir nun leider meine ganze Andacht, und anderen ging es wohl ebenso, wie ich an den verstohlenen Blicken auf die leidgeprüfte Familie erkannte. Nach dem Gottesdienst war dann auch der Brand der Hauptgesprächsstoff der Nachbarn. Die üblichen Berichte über die erhaltenen Geschenke entfielen auf Grund dieser Sensation. Aus den vielen Gerüchten, Meinungen, Berichten und Vermutungen ergab sich folgendes Bild über den Hergang des Geschehens:
Die Familie Lübbendorf hatte in dem großen Gartensaal ihrer Villa einen übergroßen Tannenbaum aufgestellt, wie er sonst nur in der Schalterhalle unserer Sparkasse stand. Er war natürlich überaus festlich geschmückt. Friederike durfte in diesem Jahr erstmalig die Kerzen entzünden. Sie tat das mit Hilfe eines langen Stabes, an dem ein brennender Docht befestigt war. Nachdem sie ihre Aufgabe gewissenhaft erledigt hatte, hatte sie sich noch eine Weile bewundernd vor ihr großes Werk gestellt. Dabei aber hatte sie den Stab geschultert und das Verhängnis nahm seinen Lauf. Der brennende Docht nämlich geriet in die Gardinen und Vorhänge der Terrassentür, und diese fingen sofort Feuer. Auf Friederikes schrillen Schreckensschrei hin stürzten die Familie und das Dienstmädchen herein. Es entstand eine Panik, der Tannenbaum stürzte um, und alsbald brannte das ganze Zimmer lichterloh. Die Feuerwehr war zwar schnell zur Stelle, aber auch sie konnte nicht verhindern, daß das Erdgeschoß ausbrannte und die erste Etage und das Dachgeschoß durch Wasserschäden und Qualm unbewohnbar wurden. Die Familie Lübbendorf war plötzlich heimatlos geworden. Da erbarmte sich die Familie Schulze der Obdachlosen und nahm sie bei sich auf. Herr Schulze war der Fahrer von Konsul Lübbendorf und wohnte in einer kleinen Wohnung über der Remise am Ende des Lübbendorfschen Anwesens. Schulzes waren fromme Leute, und ihnen war es zu verdanken, daß die vom Schicksal geschlagene Familie Lübbendorf trotz oder vielleicht gerade wegen dieses Unglücks am Heiligen Abend in die Kirche kamen.
Das aufregende Weihnachtsfest hatte auf jeden Fall bedeutende Folgen für uns Kinder. Wir Straßenkinder bekamen, nachdem die Schadenfreude verflogen war und wir alles so richtig bedacht hatten, großes Mitleid mit den Lübbendorfschen Kindern, denn uns erschien es wie die Vertreibung aus dem Paradies, daß die bedauernswerte Familie von der Weihnachtsfeier durch das unglückselige Feuer vertrieben wurde und daß alle Geschenke verbrannt waren. Dieses Mitleid ließ uns den Ärger, den wir mit diesen Hochnäsigen hatten, vergessen. Den Lübbendorfschen Kindern hingegen war mit einemmal der Grund für ihren Hochmut entzogen, und sie standen sozusagen nackt und bloß vor uns. Auf jeden Fall, Silvester waren wir alle schon gute Freunde und haben zusammen unsere Raketen gezündet, und an die tollen Spiele in dem Lübbendorfschen Garten im darauffolgenden Sommer habe ich die schönsten Erinnerungen.
Sieglinde Kaupert
«Ach ja, Papa hat geschrieben!»
Weihnachten 1948. Wir, das waren meine Mutter, meine Großmutter und wir drei Kinder. Nach unserer Flucht vor den Russen aus dem polnisch besetzten Gebiet hatten wir endlich, nach langer Irrfahrt, eine Bleibe gefunden. In einem kleinen Dorf im Spreewald hatte sich eine Familie bereit erklärt, eine so große Familie mit kleinen Kindern aufzunehmen.
Von unserem Papa hatten wir seit Ende des Krieges nichts mehr gehört. Er war das letzte
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