Weihnachtsgeschichten am Kamin 04
aufgesteckt. Die Spitze war mal wieder — wie eigentlich jedes Jahr — schief. Rena kritisierte Horsts Werk und fragte: «Willst du das etwa so lassen? Die Spitze ist ja total schief!»
Horst entgegnete: «Jetzt habe ich die Leiter weggebracht. Die hole ich nicht noch einmal. Das bleibt so! Es ist ohnehin schon spät!»
Omis Lametta hing üppig von den oberen Zweigen bis nach unten schön gleichmäßig. Sie fragte: «Soll ich nun die Geschenke aus dem Wäschekorb unter den Baum legen, oder wollt ihr eure erst hinlegen?»
Sie machten es gemeinsam und besahen dann wohlgefällig ihr Werk. Das war doch immer wieder schön. Die Bunten Teller standen vorne an; für jedes Kind einer, für Omi und Opa einer zusammen, ebenso für Rena und Horst. Auch die Zuckerkringel und Marzipanfiguren hingen in den Zweigen und zogen durch ihr Gewicht die Kugeln und Kerzen etwas herunter, aber das machte nichts.
Horst — als Familienoberhaupt — hatte die alte Messingglocke, die wahrscheinlich einmal Schlittenglocke gewesen war, aus dem Keller geholt. Als Weihnachtsglöckchen war sie eigentlich viel zu schwer, aber die Kinder waren an sie gewöhnt und kannten ihren Klang.
Erwähnenswert ist noch, daß Horst sie diesmal wirklich bereit hatte und nicht — wie im Vorjahr — im letzten Moment danach suchen mußte. Nun stand die Glocke neben all den schönen Sachen auf dem Tisch, und Horst überblickte nochmals den Raum und fragte: «Ich glaube, wir können die Kinder und Opa erlösen. Soll ich läuten?»
Omi und Rena waren noch dabei, die Kerzen am Baum anzuzünden. Omi mußte eine Fußbank haben, denn weder sie noch Rena waren so groß, um an die oberen Zweige zu reichen, und Horst hatte ja die Leiter schon lange weggeschafft. Omi meinte: «Ja, ruf mal die Kinder. Opa wird auch vom Vorlesen genug haben!»
Horst öffnete die Tür — klinglingling — schallte es durch die Wohnung, und die drei warteten auf den Ansturm aus dem Kinderzimmer. Dort rüttelte man an der Tür von innen; Horst ging hin, rüttelte von außen und rief: «Na, Opa, mach doch die Tür auf!»
Opa antwortete: «Ich habe den Schlüssel nicht — den hast du. Du hast doch abgeschlossen!»
Horst hatte ihn nicht, und Omi rief gleich: «Ich habe ihn überhaupt nicht gesehen!»
Tina hatte Angst. Sie fing an zu weinen und rief: «Ich will hier raus, ich mag keine Geschichten mehr hören. Wann ist endlich Bescherung? Hol mich hier raus!»
Schön gesagt! Wer hatte abgeschlossen? Keiner konnte sich erinnern. Jetzt riefen auch Ruth und Anja: «Laßt uns endlich hier raus!» Außen wurde nun beratschlagt, ob Horst über das Verandafenster ins seitliche Kinderzimmerfenster von außen klettern sollte. Rena meinte: «Das ist viel zu gefährlich — wir sind im zweiten Stock. Laß dir bloß was anderes einfallen.»
Omi hörte sich alles an und stellte dann trocken fest: «Am besten ist wohl, ich lösche die Kerzen wieder.»
Tinas Schluchzen wurde immer lauter. Von drinnen und draußen versuchte man ihr gut zuzureden, aber das half wenig.
Die Kinderzimmertür hatte im oberen Viertel eine Mattglasscheibe, die plante Horst jetzt einzuschlagen. Opa sollte dann nacheinander die drei Mädchen hochheben und Horst wollte sie auf der anderen Seite durch das Fenster runterheben. Damit wäre Opa aber noch nicht draußen. Für Tina war das erneuter Anlaß laut zu brüllen, denn ohne ihren Opa wollte sie auch keine Bescherung. Anja und Ruth versicherten: «Wir auch nicht!» Das Fenstereinschlagen wurde also auch wieder verworfen. Nun war guter Rat teuer.
Aus der unteren Wohnung im ersten Stock hörte man leises Klavierspiel und Kinderstimmen «Stille Nacht, Heilige Nacht...» singen.
Opa schlug nun vor, Horst möge doch im Haus bei Nachbarn klingeln und um Schlüssel bitten, die eventuell passen könnten, oder um einen geeigneten Draht mit dem man mit Geschick vielleicht das Schloß öffnen könnte. Wer würde noch die Geduld dafür aufbringen?
Omi hatte sich ergeben mit im Schoß gefalteten Händen in einen Sessel neben den Tannenbaum gesetzt. Renas Braten war jetzt fertig, und sie stand unschlüssig neben Horst, der jetzt entschlossen sagte: «Ich gehe — mal sehen, ob uns das hilft!»
Mit mehreren Schlüsseln und einem hilfreichen Nachbarn, der auch noch einen Draht mitbrachte, kam Horst nach einer Weile wieder.
Mit vereinten Kräften hatten die beiden Männer bald Erfolg mit ihren Versuchen am Schlüsselloch. Tina hatte das Metallgeklirre aufhorchen lassen, und ihr Heulen
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