Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
sauber gemacht und sie nach Hause gebracht, ohne dass ihre Eltern etwas merkten. Zumindest hatten sie nie etwas gesagt. Als Thomas’ große Jugendliebe ihm den Laufpass gab, hatte Nora ihn nach besten Kräften getröstet und ihn einfach erzählen lassen. Eine ganze Nacht lang hatten sie auf den Klippen gesessen, während er ihr sein Herz ausschüttete.
Als Henrik sein Interesse zeigte, indem er sie zum Ball der Medizinstudenten einlud, hatte sie gleich Thomas angerufen, um es ihm zu erzählen. Sie fühlte sich unglaublich von Henrik angezogen, der sie mit seinem ungezwungenen Charme im Sturm erobert hatte. Wie üblich hatte Thomas geduldig zugehört, während sie verliebt schwärmte.
Als Teenager waren sie einen ganzen Sommer lang zusammen zum Konfirmandenunterricht in die Kapelle von Sandhamn gegangen, und beide hatten alle Sommerjobs gemacht, die es auf der Insel gab: Sie hatten im Kiosk verkauft, in der Bäckerei ausgeholfen, bei Westerbergs Livs an der Kasse gesessen und als Hafenwache in der Marina des KSSS gearbeitet. Sie hatten die Nächte im Seglerrestaurant durchgetanzt, bis sie heiß und verschwitzt waren, und anschließend unten bei Dansberget gebadet, während die Sonne über dem Meer aufging.
Thomas hatte immer schon Polizist werden wollen, so wie Nora immer das Ziel gehabt hatte, Jura zu studieren. Sie hatte ihn oft damit aufgezogen, wenn sie erst Justizministerin sei, dürfe er unter ihr Reichspolizeichef werden.
Als Adam geboren wurde, fand Nora es selbstverständlich, Thomas die Patenschaft anzubieten, während Henrik lieber seinen besten Freund und dessen Frau fragen wollte. Aber als Simon kam, bestand sie darauf, dass Thomas sein Patenonkel werden müsse. Thomas war genau der Mensch, auf den man sich verlassen konnte, falls ihr oder Henrik irgendetwas zustoßen sollte.
»Ich bin dienstlich hier«, sagte Thomas und machte ein ernstes Gesicht. »Hast du gehört, dass man auf der anderen Seite der Insel eine Leiche gefunden hat?«
Nora nickte.
»Das klingt entsetzlich. Ich war gerade mit Simon in der Schwimmschule, da haben sie von nichts anderem geredet. Was ist denn eigentlich passiert?«
Sie sah Thomas beunruhigt an.
»Ich habe noch keine Ahnung. Wir wissen bisher nur, dass es sich um eine männliche Leiche handelt, die sich in einem alten Fischernetz verfangen hat. Sieht ziemlich mitgenommen aus, muss also schon längere Zeit im Wasser gelegen haben.«
Nora schauderte es im warmen Sonnenschein.
»Wie schrecklich. Aber es muss sich doch wohl um ein Unglück handeln? Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass auf Sandhamn jemand ermordet wird.«
»Wir werden sehen. Die Gerichtsmediziner müssen die Leiche untersuchen, danach wissen wir hoffentlich mehr. Der Mann, der den Toten gefunden hat, konnte auch nicht viel sagen.«
»Steht er unter Schock?«
»Ja, der arme Kerl kann einem leidtun. Wer rechnet denn schon damit, beim Morgenspaziergang eine Leiche zu finden«, sagte Thomas und zog eine Grimasse.
Nora hob Simon wieder auf den Gepäckträger.
»Kannst du nicht auf einen Sprung vorbeikommen, wenn du fertig bist und noch Zeit hast? Eine Tasse Kaffee hast du dir mit Sicherheit verdient«, versuchte sie zu locken.
Thomas lächelte leicht.
»Hört sich gar nicht so dumm an. Ich will’s versuchen.«
Kapitel 5
Kapitel 5
Nora fuhr in Gedanken versunken nach Hause. Sie fragte sich, ob der Mann, der jetzt tot am Strand lag, ein Einheimischer oder ein Fremder war. Wenn ein Einwohner von Sandhamn vermisst worden wäre, hätte ihr das eigentlich zu Ohren kommen müssen. Die Insel war ja nicht groß, die meisten Inselbewohner kannten einander, und die soziale Kontrolle war stark. Aber sie hatte nichts gehört.
Als sie Simon vom Gepäckträger hob und das Rad am Zaun abstellte, bemerkte sie ihre nächste Nachbarin, Signe Brand, die ihre Rosen goss. Die Südwand von Signes Haus prunkte mit den herrlichsten Rosen, abwechselnd in Rosa und Rot. Die Rosenstöcke waren mehrere Jahrzehnte alt und die Stämme dick wie Handgelenke.
Signe, oder Tante Signe, wie Nora sie als Kind genannt hatte, wohnte in der Brand’schen Villa, einem der schönsten Häuser der Insel, mitten auf dem Kvarnberget an der Einfahrt nach Sandhamn. Als die alte Windmühle, die bis dahin auf dem Kvarnberget gestanden hatte, in den 1860er-Jahren an einen anderen Platz versetzt worden war, hatte Lotsenmeister Carl Wilhelm Brand, Signes Großvater, seine Chance gesehen, das Grundstück zu erwerben. Viele Jahre
Weitere Kostenlose Bücher