Weihnachtsmord auf Sandhamn ( 2 Kurzkrimis )
ermahnte sie sich. Tief atmen.
Mit zitternden Beinen ging sie in die gepflegte Wohnküche und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Letzten Sommer hatte sie die Sprossenstühle im Sonnenschein unten am Steg gestrichen. Lina hatte ihr dabei geholfen. Sie hatte Farbe auf den Bikini bekommen, und sie hatten beide darüber gelacht.
Marianne erhob sich und nahm ein Glas aus dem Schrank über der Spüle, um einen Schluck Wasser zu trinken. Ihre Atemzüge wurden ruhiger. Natürlich war Lina immer noch bei den Hammarstens. Bestimmt war sie das. Wo sollte sie sonst sein?
Das vertraute Röcheln der Kaffeemaschine auf der Küchenanrichte tröstete sie. Sie würde sich eine Tasse Kaffee einschenken und ihn in aller Ruhe trinken. Wenn sie ihn ausgetrunken hatte, würde es etwa acht Uhr sein. Dann würde sie Hanna Hammarsten anrufen und von ihr hören, dass Lina bei ihnen übernachtet hatte, ohne zu Hause Bescheid zu sagen.
So waren junge Mädchen eben.
Dann würden sie nachsichtig darüber lachen, wie zwei Mütter es taten, wenn ihre Kinder sich auf eine Art benahmen, die all ihre Vorurteile bestätigten.
Sie würde beschämt über ihre Ängste lächeln, und hinterher würde Lina sie eine richtige Glucke nennen.
»Hör auf, dir Sorgen zu machen, Mama«, würde sie sagen. »Lass das endlich. Ich bin jetzt erwachsen, begreifst du das nicht.«
Hanna würde genau verstehen, was in ihr vorging. Alle Mütter machten sich Sorgen. Vor allem, wenn sie Töchter hatten. Das gehörte dazu.
Sie hatte geglaubt, dass durchwachte und unruhige Nächte Vergangenheit sein würden, wenn Lina erst groß war. Wie sehr hatte sie sich doch geirrt. Inzwischen, wenn sie wieder mal wach lag und nicht einschlafen konnte, bevor Lina nach Hause gekommen war, sehnte sie sich manchmal nach den Babyjahren zurück, in denen das Schlimmste, was passieren konnte, darin bestand, dass ihre Tochter aus einem Albtraum aufschreckte. Dann genügte schon ein Kuss oder vielleicht ein Fläschchen Hafermilch. Wenn das nicht half, brauchte sie nur ins Doppelbett gelegt zu werden, wo sie schnell wieder einschlief. Zum Dank teilte sie dann zwar die ganze Nacht kleine, harte Boxhiebe gegen Mamas Rücken aus, aber das war nichts verglichen mit der bohrenden Sorge der späteren Jahre.
Der Kaffee war durchgelaufen.
Sie sah wieder auf die Uhr. Viertel vor acht. Punkt acht würde sie anrufen, keine Minute später. Das war immer noch ziemlich früh, aber sie konnte einfach nicht länger warten.
Ihre Lieblingstasse, ein großer, blauer Keramikbecher, stand ganz vorn im Schrank. Schon sein Anblick vermittelte das Gefühl, dass alles wie immer war. Zwei Würfel Zucker und ein guter Schuss Milch, dann war der Kaffee fertig. Süß und stark, genau wie sie ihn mochte. Jetzt ging es ihr schon viel besser.
Marianne lächelte über sich selbst. Was hatte sie sich eigentlich vorgestellt? Was sollte auf Sandhamn schon passieren, einer Insel, auf der Lina jeden Stein kannte. Sie würde sogar im Schlaf nach Hause finden.
Zwischen Trouville auf der Ostseite der Insel und ihrem Haus im Ort lagen knapp zwei Kilometer. Was sollte auf einer so kurzen Strecke passieren?
Sie trank noch einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. Sie hatte sich völlig unnötig aufgeregt. Es war nicht das erste Mal, dass Lina bei ihrer besten Freundin übernachtete und vergaß, Bescheid zu sagen. Vermutlich hatte sie keine Lust gehabt, nach Hause zu fahren. Es war bequemer, bei Louise zu schlafen. Besonders wenn es draußen stockdunkel war. Eine nennenswerte Straßenbeleuchtung gab es nicht, und die meisten Häuser waren schon winterfest verschlossen. Obwohl jetzt Herbstferien waren, ließen sich nur wenige Urlaubsinsulaner blicken.
Gedankenverloren rührte Marianne mit dem Löffel im großen Becher. Der Zucker hatte sich auf dem Boden gesammelt. Sie warf einen Blick zum alten Holzfeuerherd, den sie behalten hatten, als sie das Schärenhaus renovierten, das ihre Mutter ihr hinterlassen hatte. Die Glut vom Vortag war während der Nacht erloschen, aber der gemauerte Herd war immer noch warm. Fantastisch, wie er die Wärme hielt.
Sie erhob sich, um Holz aufzulegen und ein neues Feuer anzufachen. Im Herbst und Winter bei knisterndem Feuer zu frühstücken, war besonders gemütlich. Es konnte schneidend kalt werden, wenn der Nordwind auf dem Haus stand. Ein Glück, dass sie den Holzherd und die alten Kachelöfen im Ess- und im Wohnzimmer hatten.
Sie warf wieder einen Blick zur Uhr. Drei Minuten vor acht.
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