Weihnachtszauber 01
allerneuesten Bände für ihn zu reservieren, damit er uns im Gegenzug dafür weniger für die Medikamente berechnet.“
Einen Moment war er betroffen, aber dann wandte er ein: „Wäre es denn so schlimm, wenn ich ein, zwei Fehler mache? Ich möchte doch nur meinen Teil zur Arbeit beitragen.“
Lavinia schloss das Kassabuch. „Deine Fehler sind daran schuld“, sagte sie mit zitternder Stimme, „dass wir kein richtiges Weihnachtsfest haben werden. So wie Mutter es immer für uns bereitete. Jetzt muss ich erneut anfangen zu sparen. Für nächstes Jahr.“
Er errötete aus Verlegenheit, aber auch aus Wut. „Ich habe schon gesagt, dass es mir leidtut. Was willst du noch von mir? Du bist nicht meine Mutter, also benimm dich nicht so.“
„Das ist nicht fair. Ich versuche nur, dich glücklich zu machen.“
„Dann ist dir das aber nicht gelungen. Bisher hast du es nur geschafft, mich unglücklich zu machen.“ Er wandte sich abrupt ab, drehte sich an der Tür jedoch noch einmal zu seiner Schwester um. „Ich hasse dich.“ Er rannte nach oben und knallte die Tür zu seinem Zimmer lautstark hinter sich zu.
Lavinia schlang unwillkürlich die Arme um sich und kämpfte gegen die Tränen an. Er war nur aufgebracht. Er hasste sie nicht. Und er würde sich bald wieder beruhigen.
„Eines Tages“, flüsterte sie, „wirst du verstehen, wie idyllisch deine Kindheit gewesen ist. Du musst dir keine Sorgen machen. Davor habe ich dich bewahrt.“
Langsam beugte sie sich über das Kassabuch, öffnete es vorsichtig und begann wieder zu rechnen.
Jedes Mal, wenn sie in dieser Nacht erwachte und sich hin und her warf in ihrem schmalen Bett, erinnerte Lavinia sich an die Worte, die sie zu William gesagt hatte.
Sie glauben, Sie hätten mich gegen meinen Willen genommen, und fühlen sich selbst entehrt . Sogar jetzt sah sie noch das bittere Lächeln um seine Lippen, als ihm bewusst geworden war, wie tief er gesunken war. Sie hatte seinen Schmerz lindern wollen, doch stattdessen hatte sie ihn noch mehr verletzt.
Bisher hast du es nur geschafft, mich unglücklich zu machen. Es waren nicht Williams Worte, doch sie trafen genauso auch auf ihn zu.
Nein, das darf nicht sein, dachte Lavinia. Sie stand auf und trat ans Fenster. Dichter, erdrückender Nebel bot sich ihrem Blick. Es war nach Mitternacht, also bereits Heiligabend. Der Morgen war allerdings noch weit, und der Nebel so undurchdringlich, dass er leicht eine neunzehnjährige Frau verbergen würde, die sich vor den Blicken der Neugierigen verstecken wollte. Sie würde dafür sorgen, dass William sich besser fühlte. Sie musste es einfach tun.
Leise öffnete sie die Tür ihres Zimmers, schlich sich in den Flur hinaus und nahm ihren Umhang vom Kleiderhaken. Mit den Füßen ertastete sie ihre Stiefeletten und bückte sich dann, um sie aufzuheben. Behutsam ging sie die leicht knarrende Treppe hinunter und durch die Bibliothek. Sie schlüpfte in ihre Stiefeletten. Und schon war sie im Freien, wo der Nebel sie sofort in seine eisige Umarmung hüllte.
Sie machte sich auf den Weg. Erst vor Williams Haus ging ihr auf, dass sie keinen Schlüssel hatte. Und in seiner Unterkunft im zweiten Stock würde er ihr Klopfen nicht hören. Doch so leicht ließ sie sich nicht entmutigen. Sie stand gerade im Begriff, jedes einzelne Fenster zu untersuchen, um Einlass zu finden, als hinter ihr eine Tür geöffnet wurde.
„Lavinia?“ Es war William.
Sie wandte sich um. Ihr stockte der Atem vor Freude, ihren Namen aus seinem Mund zu vernehmen. Seine Gestalt war im Nebel kaum auszumachen, obwohl er nur zwei Meter von ihr entfernt stand. Schnell sprang sie vom unbequemen Fenstersims herunter und wollte schon zu ihm laufen und sich ihm an die Brust werfen – doch William verschränkte abweisend die Arme. Also ging sie nur langsam auf ihn zu und spürte dabei den wilden Schlag ihres Herzens.
„Du musst ja völlig durchgefroren sein“, sagte er missbilligend. „Gott sei Dank, dass ich nicht schlafen konnte und dich hoffentlich niemand hier gesehen hat. Wenn du meine ...“
Lavinia war ihm inzwischen nahe genug, um seine finstere Miene zu bemerken und zu sehen, wie er hastig die Lippen zusammenpresste. Dann wandte er sich ab, um das Haus zu betreten. Doch immerhin duzte er sie heute wieder, und sie fasste Mut.
Sie folgte ihm, ohne auf eine Aufforderung zu warten. „Wenn ich deine Frau wäre“, führte sie seinen Satz zu Ende, „müsste ich nicht so viel riskieren, um dich am frühen Morgen
Weitere Kostenlose Bücher