Weihnachtszauber 01
Menschheit finden. Lavinia nahm allen Mut zusammen und ging zu ihm, doch er drehte ihr den Rücken zu.
„Verzeihen Sie“, bat er, ohne sich ihr zuzuwenden.
Lavinia fiel auf, dass er wieder dazu übergegangen war, sie zu siezen, und fragte sich, warum es ihm wichtig war, sie auf Abstand zu halten.
„Ich hätte nicht kommen dürfen“, fuhr er leise fort. „Wenn meine Anwesenheit Sie aufbringt, sagen Sie es, und ich verlasse Sie sofort.“
„So leicht lasse ich mich nicht aufbringen“, antwortete sie ruhig.
Jetzt sah er sie eindringlich an, als wolle er sich vergewissern, dass sie die Wahrheit sagte. „Sind Sie wohlauf?“ Immer noch sprach er leise, obwohl sie allein waren. „Ich konnte nicht schlafen bei dem Gedanken daran, was ich Ihnen angetan habe.“
Auch Lavinia hatte nicht schlafen können, weil sie ständig daran denken musste, was er mit ihr getan hatte, und hatte sich an den Stellen berührt, die er gestreichelt hatte. Doch seine Miene zeigte ihr, dass er die Nacht nicht annähernd so angenehm verbracht hatte.
„Es geht mir sehr gut“, beruhigte sie ihn, weil so offensichtlich war, welche Seelenpein er litt. „Danke der Nachfrage.“
„Miss Spencer, ich weiß, dass ich niemals auf Vergebung hoffen kann. Ich habe Sie entehrt ...“
„Seltsam“, warf sie ein, „dass ich mich überhaupt nicht entehrt fühle.“
Er zog verwirrt die Brauen zusammen. „Ich habe Sie ruiniert. Ich ...“
„Wieso ruiniert? Wie Sie sehen, bin ich immer noch in der Lage, in der Bibliothek zu arbeiten. Und ich denke nicht, ich bin aufgrund meines Erlebnisses mit Ihnen plötzlich zu einer verruchten Frau geworden. Was eine spätere Heirat angeht, William – glauben Sie denn wirklich, dass ein Mann, der diese Bezeichnung verdient, mich wegen einer einzigen Unbesonnenheit fallen lassen würde?“
„Sie fallen lassen?“ Sein sehnsüchtiger Blick glitt unwillkürlich über ihren Körper und richtete sich dann wieder auf ihr Gesicht. „Nein. Er würde Sie nehmen, wie immer er Sie bekommen kann.“
Keinen Moment bedauerte Lavinia es, sich diesem Mann hingegeben zu haben, so unvernünftig und unziemlich es auch gewesen sein mochte.
„Wenn ich recht verstehe“, sagte sie behutsam, „dann fühlen Sie sich schuldig, weil Sie mich gezwungen haben, zu Ihnen zu kommen. Und weil Sie mich dann nahmen, obwohl Sie glaubten, dass ich es nur gegen meinen Willen zuließ.“
Er zuckte zusammen und senkte wieder den Blick. „Ja. Und dafür sollte ich ...“
„Es geschah nicht gegen meinen Willen. Und Sie haben mich nicht entehrt.“
„Aber ...“
„Aber“, unterbrach sie ihn, „Sie glauben, dass es so war, und fühlen sich selbst entehrt.“
Einen Moment lang erstarrte William, dann schloss er die Augen. „Sie sind sehr klug“, sagte er mit leiser Stimme, in der Verzweiflung mitschwang.
Voller Mitleid legte Lavinia die Hand auf seine, doch er flüsterte: „Nicht.“ Trotzdem entzog er sich ihr nicht, und sie fasste Mut.
„Verraten Sie mir eins“, fuhr er fort und öffnete die Augen, ohne Lavinia loszulassen.
„Als Sie neulich Ihrem Bruder sagten, Sie hätten einen Plan, warum verrieten Sie ihm da nicht, dass er nicht für seine Schulden herangezogen werden kann?“
Lavinia brauchte einen Augenblick, um zu verstehen, worauf er anspielte, so sehr genoss sie das Gefühl ihrer Hand in seiner. „Warum sollte ich es ihm sagen?“, antwortete sie dann. „Ich hätte mich darum gekümmert. Er brauchte die Einzelheiten nicht zu wissen. Es ging mir nur darum zu entscheiden, wie ich am besten vorgehen sollte.“
„Sie hätten alles allein getan? Ohne Hilfe?“
Seit ihre Mutter vor einem Jahr gestorben war, hatte sie im Grunde alles allein getan.
Sie hatte ihrem Vater in der Bibliothek geholfen, bis dessen Gesundheit sich so verschlechterte, dass sie die ganze Arbeit übernehmen musste. Jetzt kümmerte sie sich um den Haushalt, ihren Vater und ihren jüngeren Bruder, der sich öfter in Schwierigkeiten brachte, als ihr lieb war. Es machte ihr nichts aus, denn sie tat es, weil sie ihre Familie liebte. Allerdings wusste sie nicht, ob sie sich angewöhnen könnte, sich zur Abwechslung einmal auch helfen zu lassen.
Unbewusst drückte sie seine Hand. „Natürlich hätte ich es allein getan.“
„Sagen Sie mir ...“ Er sprach noch leiser, sodass sie sich anstrengen musste, ihn zu verstehen. „Wenn ich Ihnen an jenem Abend meine Unterstützung angeboten hätte ... hätten Sie sie angenommen?“
Sie sah zu
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