Weihnachtszauber 02
Klatschgeschichten gehört. Da war von Ihrem Londoner Gentleman die Rede, Mrs Stowe. Natürlich, Becky Gilbert erzählt viel, wenn der Tag lang ist. Aber sie sagt, Mrs Lambert, für die sie arbeitet, kennt die Köchin Seiner Lordschaft.“
„Mr Wakefields Köchin?“ Sobald Hanna den „Londoner Gentleman“ erwähnt hatte, war Isabella das Herz fast stehen geblieben – um beim nächsten Satz so heftig zu hämmern, dass sie beinahe fürchtete, es würde ihr aus der Brust springen.
„Lord Easton heißt er, meine Liebe. Und er ist ein Viscount. Als er damals hier war, arbeitete Becky gerade im Wren’s Nest. Deshalb weiß sie über seinen Adelstitel Bescheid. So nett war er zu ihr. Nicht so wie die meisten anderen Gentlemen, die dort absteigen. Auch sein Kammerdiener war sehr freundlich, aber ein bisschen streitsüchtig, wenn’s drum ging, was gut oder nicht gut genug für seinen Herrn war.“
Ist er verlobt? Verheiratet? Tot?
„Was hat Becky gesagt?“ In ihren Ohren klang ihre eigene Stimme halb erstickt. Doch das schien der Haushälterin nicht aufzufallen.
Mit einem scharfen Messer verwandelte Hannah eine Apfelschale in eine lange, gewundene rote Schlange. „Offenbar arbeitet Mrs Lamberts Bekannte auf seinem Landsitz, nicht in London. So ein Jammer, meint sie. Aber wie die Bibel verkündet ...“
Also tot. Oh, lieber Gott, nein ...
„Und – Lord Easton?“, stieß Isabella ungeduldig vor, und Hannah schaute sie bestürzt an, erschrocken über den scharfen Ton.
„Das will ich ja gerade erzählen. Wenn Sie mich zu Wort kommen lassen ...“
Isabella presste die Lippen zusammen. Wie sie aus Erfahrung wusste, war es besser, wenn man die Haushälterin auf ihre eigene Weise solche Neuigkeiten verkünden ließ. Obwohl ihr so viele Fragen auf der Zunge brannten – damit würde sie die Enthüllungen nur hinauszögern.
„Also ...“ Hannah inspizierte den Apfel, den sie geschält hatte. Geschickt schnitt sie ihn in Scheiben, die in eine Schüssel fielen. Erst danach blickte sie zu ihrer Herrin auf.
„Blind.“
Dann nickte sie, als wollte sie eine gewisse Genugtuung ausdrücken. Isabella achtete nicht darauf. Stattdessen konzentrierte sie sich auf jenes beklemmende Wort.
„Blind? Das hat Becky wirklich gesagt?“
Guy hatte erklärt, wegen der Beschädigung seiner Augen könne er nicht lesen.
Doch Isabella hatte zu viele Stunden mit ihm verbracht, um zu glauben, die Verletzung würde sein Sehvermögen anderweitig beeinträchtigen. Er ist blind gewesen , fügten ihre forschenden Gedanken hinzu. Das musste der Köchin irgendwer mitgeteilt haben. Und die Information war durcheinandergeraten, ehe sie Becky Gilberts Arbeitgeberin erreicht hatte. Oder später zu Becky gelangt war ...
„Oh, so was würde ich doch nicht missverstehen, oder?“, verteidigte sich Hannah.
„Aber seine verwundeten Augen sind genesen. Das haben Sie selber gesehen.“
Krampfhaft klammerte Isabella sich an den einzigen rettenden Strohhalm, der ihr noch blieb.
Unterdessen gellte das Wort immer wieder in ihren Ohren. Blind.
„Eine Infektion, sagt Becky. Und das hängt mit irgendwas zusammen, das er im Krieg erlebt hat. Die Einzelheiten kennt Mrs Lambert nicht. Auch ihre Freundin, die Köchin, ist nicht eingeweiht. Ich erzähle Ihnen nur, was ich gehört habe, meine Liebe.
Machen Sie draus, was Sie wollen. Trotz allem, was er tat ...“ Hannah zögerte und seufzte mitfühlend. „Niemandem wünsche ich das Schicksal der Blindheit. Schon gar nicht einem so jungen Menschen.“
„Was er tat? Wie meinen Sie das?“
„Es war doch glasklar, dass er Ihr Herz gebrochen hat, als er damals einfach abgereist ist. Und mir tat das Herz fast genauso weh, weil ich mit ansah, wie Sie leiden mussten. Nun, vielleicht ist die Erblindung grausame Gerechtigkeit. Trotzdem – so ein junger Mann ...“ Traurig schüttelte Hannah den Kopf.
„Da irren Sie sich ganz gewaltig!“ Nicht zum ersten Mal verblüffte der Ton ihrer Herrin die Haushälterin. „Er bat mich, ihn zu heiraten. Und ich war es ...“ Sie unterbrach sich. Sekundenlang verkniffen sich ihre Lippen, bevor sie weitersprach.
„Ich war es, die ihm erklärte, wir würden nicht zueinanderpassen.“
„Nicht zueinanderpassen? Warum denn nicht? Nach meiner Ansicht ist er ein vornehmer junger Mann.“
„ Zu vornehm“, wisperte Isabella. „Und viel zu jung.“
„Wie meinen Sie das?“ Hannahs Verwirrung wirkte echt.
„Das sagten Sie doch selbst. Er ist zu vornehm – zu sehr
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