Weihnachtszauber 02
ihren Podesten und schauten mit leerem Blick auf die Besucher herab.
Davon gab es an diesem Tag allerdings nicht viele. Die Eiseskälte hatte vernünftige Menschen davon abgehalten, das Haus zu verlassen. Nicht jedoch Mary. Ihr Heim glich einem Tal der Tränen, dem sie wenigstens für eine oder zwei Stunden hatte entfliehen wollen. Das Museum erschien ihr genau der richtige Ort für diesen Zweck.
Die Hände tief in ihrem Pelzmuff vergraben, betrachtete sie die Statue der Göttin Artemis, die mit ihrem Bogen in die Ferne zielte. Sie konnte den Ansichten der jungfräulichen Göttin nur zustimmen – Männer und Liebe bedeuteten nichts als Ärger.
„Guten Tag, Lady Derrington!“, hörte sie eine Stimme hinter sich. Als sie sich umwandte, erkannte sie Sir Edward und Lady Quickley. Sie waren in Begleitung ihrer Tochter Angelica, deren gelangweilte Miene ganz offen verkündete, dass die antiken Ausstellungsstücke sie nicht im Geringsten interessierten. Ginny und Angelica waren in den letzten Wochen gute Freundinnen geworden, daher wusste Mary, dass die beiden Modemagazine bei Weitem mehr schätzten als Kunst und Kultur.
„Guten Tag, Sir Edward, Lady Quickley“, grüßte Mary. „Es freut mich, zu sehen, dass ich nicht die Einzige bin, die sich an einem solch trostlosen Tag vor die Tür wagt.“
„Ich fürchte fast, das Wetter wird sich bis Weihnachten zunehmend verschlechtern“, meinte Sir Edward fröhlich, als hätte er seine wahre Freude an einem heftigen Wintersturm.
„Wir verbringen die Feiertage auf unserem Landgut“, fügte seine Gemahlin hinzu.
„Vor unserer morgigen Abreise wollten wir noch einmal den Anblick der Marmorstatuen genießen.“
„Ein weiser Entschluss“, sagte Mary. „Meine Schwester und ich bleiben über die Feiertage in der Stadt.“
„Ist Ginny auch hier?“, fragte Angelica. „Ich würde ihr so gern von meinem neuen Hut erzählen, bevor man mich aufs Land verschleppt.“
„Nein, sie hat mich nicht begleitet, aber ich bin mir sicher, sie würde sich freuen, wenn Sie ihr heute Nachmittag einen Besuch abstatten.“ Vielleicht lenkt Ginny ein Plausch mit ihrer Freundin ein wenig von ihrem Kummer ab, dachte Mary.
Nachdem sie noch eine Weile über ihre Weihnachtspläne geplaudert hatten, verabschiedeten sie sich, und Mary schlenderte in den nächsten Ausstellungsraum.
Laut hallten ihre Schritte in der Stille, sie war wieder allein.
Nun, so allein auch nicht, stellte sie plötzlich erschrocken fest. Vor einer der Vitrinen stand Dominick und betrachtete die ausgestellten Exponate. Das trübe Licht, das durch die hohen Fenster fiel, fing sich in seinem blonden Haar.
Von dem Wunsch beseelt, dieser Begegnung zu entfliehen, trat Mary einen Schritt zurück. In diesem Augenblick schaute er auf und entdeckte sie. Einen Lidschlag lang spiegelte sich freudige Überraschung in seinem Gesicht, und ein Lächeln umspielte seine Lippen. Dieses verschwand jedoch so rasch, wie es gekommen war, und wich einer undurchdringlichen Miene. Höflich grüßte er mit einer formvollendeten Verneigung.
Mary warf kurz einen sehnsüchtigen Blick über ihre Schulter und spielte mit dem Gedanken, sich einfach umzudrehen und zu gehen. Aber sie wusste bereits, dass sie es nicht konnte. Vor ihm wegzulaufen, wie damals in Welbourne Manor, wäre feige und töricht.
Sie straffte die Schultern und ging zu ihm hinüber, als sei diese Begegnung etwas ganz Alltägliches für sie. „Lord Amesby. Welche Überraschung, Sie hier anzutreffen.“
„Überraschend, weil Sie der Ansicht sind, ich interessiere mich nicht für Kunst oder Geschichte, sondern lediglich für Pferde?“, fragte er lachend.
Für Pferde – und Kartenspiele und Frauen. „Ich kenne Ihre Interessen nicht“, erwiderte sie. Verblüfft erkannte sie, dass diese Bemerkung sogar der Wahrheit entsprach. So viel Zeit war seit ihrer letzten Begegnung vergangen. Und auch vor der Sommergesellschaft in Welbourne Manor hatten sie sich jahrelang nicht wiedergesehen. Zwar kamen ihr des Öfteren Gerüchte über ihn zu Ohren, sein wahres Wesen aber kannte sie kaum. Sie verspürte das schmerzliche Verlangen, mehr über ihn zu erfahren, sehr viel mehr.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand an solch wunderschönen Dingen keine Freude finden würde“, sagte er und deutete auf eine Marmorstatuette in der Vitrine.
Mary folgte mit dem Blick seiner Hand. Bei der Statuette handelte es sich um eine griechische Dame, deren Kopf vollendet gemeißelte Locken
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