Weihnachtszauber 02
noch genau, was ihre Mutter darauf erwiderte: „Wenn du Derrington heiratest, wird die Gesellschaft deine Schwestern mit offenen Armen aufnehmen, und unsere Familie wird nie wieder Geldsorgen haben. Bist du wirklich so selbstsüchtig, um all dies außer Acht zu lassen?“
Letztendlich hatte sich Mary ihren Schwestern zuliebe selbstlos gezeigt. Nach dem Tod ihres Gatten hatte sie jedoch geschworen, sich nie wieder zu vermählen.
Vielmehr wollte sie sich nach besten Kräften um das Wohl ihrer Familie kümmern.
Das bedeutete jedoch nicht, dass Ginny einen zwar gut aussehenden, aber mittellosen Offizier ehelichen konnte, selbst wenn dieser über verwandtschaftliche Verbindungen zu Viscount Amesby verfügte.
„Oh, Mary!“, schluchzte Ginny und strampelte trotzig mit den Füßen. „Du bist so furchtbar bieder und altmodisch geworden. Offenbar warst du nie richtig verliebt, daher kannst du auch nicht verstehen, was ich fühle.“
War dem tatsächlich so? Mary erinnerte sich noch allzu gut an die verzehrende Sehnsucht, die sie beim Anblick von Dominick in Welbourne Manor verspürt hatte.
Und sie hatte geglaubt, sterben zu müssen, als sie nicht mit dem Mann zusammen sein durfte, den sie liebte. Sie hatte all die schrecklichen Qualen einer vereitelten Liebe erlebt.
Im Laufe der Zeit ließ die unsägliche Qual jedoch nach. Zurückgeblieben war lediglich ein dumpfer Schmerz, den sie tief in ihrem Herzen verbarg.
„Ich weiß genau, wie du dich fühlst“, sagte sie. „Verliebt zu sein ist ein wunderbares Gefühl, aber Liebe ist kein Garant für einen gesicherten Lebensunterhalt und ein standesgemäßes, sorgloses Leben.“
„Ich lege keinen Wert auf ein gesichertes Einkommen und standesgemäßes Leben!“
„Jetzt nicht, das mag sein. Aber wenn du älter bist, wenn du einmal Kinder hast, dann wird es dir nicht egal sein. Du bist noch so jung, Ginny, Liebes, ebenso wie Captain Heelis. Du hast Zeit, dir deine Wahl gut zu überlegen.“
„Meine Gefühle für Captain Heelis werden sich nicht ändern, gleich, wie viel Zeit vergeht“, warf Ginny ein.
„Gut, in diesem Fall wird es dir sicher nichts ausmachen, auf ihn zu warten.“
Mit einem unwilligen Aufschrei sprang Ginny vom Sofa und rannte aus dem Salon.
Fest schlug sie die Tür hinter sich ins Schloss. Das Geräusch hallte laut in dem stillen Haus wider.
Mary fühlte sich mit einem Mal unglaublich müde. Gedankenverloren blickte sie aus dem Fenster in den bleigrauen Abendhimmel. So hatte sie sich die Weihnachtszeit ganz gewiss nicht vorgestellt. Es war das erste Weihnachtsfest, das sie in ihrem schönen Stadthaus, weit weg von Derrington Hall verbrachte. Im Gegensatz zu ihr und ihrer Familie hatten sich ihr Gatte und seine griesgrämige Mutter nichts aus Weihnachten gemacht. Jahrelang hatte sie kein Weihnachtsfest mehr gefeiert. Seit dem Tod ihres kleinen Sohnes Will war ihr auch nicht mehr zum Feiern zumute. Die Welt erschien ihr rabenschwarz und leer ohne ihn.
Viel zu lange hatte es keine Farbe, kein Lachen mehr in ihrem Leben gegeben, kein fröhliches Weihnachtsfest. Sie sehnte sich nach ein wenig Frohsinn, träumte von festlich geschmückten Räumen und Glühwein, von Musik und dem Gefühl, sich wieder lebendig zu fühlen, wenigstens ein ganz kleines bisschen. Dieser Traum hatte sich zerschlagen, stattdessen gab es Streit, traurige Erinnerungen und einen kalten grauen Himmel.
Den noch unbeantworteten Briefen keinen Blick schenkend, stand Mary auf und ging zum Fenster. Fest zog sie das Schultertuch um sich und blickte auf die fast verlassene Straße unter sich. Eine Kutsche fuhr geräuschvoll vorbei, und eine mit Paketen beladene Dienstmagd huschte eilig über das Trottoir. Die meisten Menschen verbrachten Weihnachten auf dem Land, und diejenigen, die es nicht taten, hielten sich klugerweise in ihren Häusern auf, wo es behaglich warm war und der schneidende Wind einem nichts anhaben konnte.
Erschauernd dachte Mary an den Sommer in Welbourne Manor. Die Sonne, der blaue Himmel, die Picknicks, das fröhliche Gelächter. Das Wiedersehen mit Dominick. In diesem Sommer hatte sie wenige Tage lang neue Hoffnung geschöpft.
Sie hatte fast vergessen, wie es war, Vergnügen zu spüren, und dieses Gefühl erneut zu erleben, war wundervoll gewesen.
Inzwischen aber war sie eindeutig wieder in ihrem realen Leben angekommen, war zu ihrem vernünftigen, pflichtbewussten Selbst zurückgekehrt.
Sie griff nach dem Vorhang, um ihn vorzuziehen, da bemerkte sie
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