Weihnachtszauber 02
Keim der Vernunft säen. Ich fürchte, sonst bleibt mir nichts anderes übrig, als in Kürze mit Ginny zu verreisen.“
„Verlassen Sie die Stadt über die Weihnachtsfeiertage?“
Mary schüttelte den Kopf. „Nein, erst zu Neujahr. Ich möchte Weihnachten in meinem eigenen Zuhause feiern, obwohl es kein friedliches Fest werden wird, wenn Ginny das Wehklagen nicht einstellt.“
„Oh, ja.“ Dominick betrachtete erneut die Statuette von Persephone. Seine Miene war unergründlich. „Ich weiß noch, wie sehr Sie das Weihnachtsfest mochten.“
Plötzliches Gelächter, das von der Eingangstür kam, ließ sie aufschrecken. Mary hatte einen Augenblick lang vergessen, dass es außer ihr und Dominick noch andere Menschen auf der Welt gab.
„Ich muss gehen“, sagte sie rasch. Sie zog eine Hand aus ihrem Muff und bot sie ihm.
„Vielen Dank, dass Sie mit Captain Heelis sprechen wollen. Schon allein dass ich mich jemandem anvertrauen konnte, hat mir eine große Last von der Seele genommen.“
Er ergriff ihre behandschuhte Hand und hob sie an seine Lippen. Flüchtig streifte sein Mund ihre Fingerknöchel, warm spürte sie seinen Atem durch das dünne Leder hindurch. „Ich freue mich, wenn ich Ihnen zu Diensten sein konnte.“
Plötzlich wurde es Mary heiß und kalt zugleich. Hastig entriss sie ihm ihre Hand und eilte aus der Galerie. Beim Verlassen des Raumes passierte sie zwei Damen und drei Gentlemen, die an der Tür standen und sich unterhielten. Eine der Damen, sie war blond und trug einen höchst auffälligen Hut mit Feder und ein Kleid, das für die Tageszeit viel zu tief ausgeschnitten war, rief: „Dominick! Hier hältst du dich also versteckt, du ungezogener Schlingel ...“
Mary eilte an der Gruppe vorbei, obwohl sie den Wunsch verspürte, sich umzudrehen und zu sehen, was der „ungezogene Schlingel“ der Dame antwortete.
Aber nein, was kümmerte sie das. Es durfte sie nicht kümmern. Jetzt nicht mehr.
Dominick schritt die Straße entlang, ohne auf die Menschen zu achten, die mit heiterer Miene und Weihnachtsgeschenken beladen an ihm vorbei nach Hause eilten. Er hatte auch keinen Blick für die festlich mit Girlanden und Tannenzweigen geschmückten Schaufenster oder den grauen Winterhimmel.
In Gedanken sah er immer noch Marys schokoladenbraune Augen, die ihn unter dichten Wimpern anblickten. Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf seine Lippen. So wie einst waren sie einen Augenblick lang wieder verwandte Seelen gewesen, die sich auch ohne Worte verstanden und sich wie magisch zueinander hingezogen fühlten. Und als er im Museum ihre Hand küsste ...
Dann aber waren Dorothy und seine Freunde gekommen. Dorothy war Schauspielerin und früher einmal für kurze Zeit seine Mätresse gewesen. Der Ausdruck in Marys Augen war ihm nicht entgangen, als Dorothy ihn ansprach. Ihre Miene war ernst geworden, und seltsamerweise hatte sie auch enttäuscht gewirkt.
Verflixt noch mal! Sie hatte kein Recht, enttäuscht von ihm zu sein. Ebenso wenig hatte er das Recht, solche Gefühle zu verspüren. Am liebsten wäre er ihr nachgeeilt, hätte sie in seine Arme gezogen und ihr alles erklärt. Wie aber konnte er seinen anrüchigen Lebenswandel überhaupt erklären?
Eine Dame mit einem kleinen Mädchen an der Hand trat plötzlich aus einer Ladentür und stieß dabei versehentlich mit ihm zusammen.
„Oh, bitte entschuldigen Sie“, sagte sie und sah verlegen unter ihrer Hutkrempe zu ihm hinauf. „Ach, Sie sind es, Lord Amesby. Guten Tag.“
Es ist wie verhext, offenbar soll mich heute alles und jedes an Mary erinnern, dachte er. Denn er war ausgerechnet mit Charlotte Fitzmanning zusammengestoßen, Marys Schwägerin.
„Es freut mich, Sie wiederzusehen, Miss Fitzmanning“, grüßte er höflich und zog den Hut. „Oh, entschuldigen Sie, ich sollte Sie nicht länger mit Ihrem Mädchennamen, sondern vielmehr mit Lady Bassington anreden.“
„Das stimmt wohl, allerdings klingt diese Anrede so furchtbar verstaubt, und ganz korrekt ist auch sie nicht mehr. Ich bin inzwischen Lady Derrington geworden, weil mein Gatte Drew den Titel erbte, als sein armer kleiner Neffe im vergangenen Jahr tragischerweise an einem Fieber verstarb“, fügte sie mit trauriger Stimme erklärend hinzu. Auch das Lächeln in ihren Augen erlosch. Schützend legte sie den Arm um das kleine Mädchen, das sein Gesicht schüchtern in den Falten ihrer Röcke vergrub.
„Verstarb ...?“ Marys Sohn war tot? Eine eiskalte Hand schloss sich fest um sein
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