Weihnachtszauber 02
Ablehnung lag ihr auf der Zunge. Aber angesichts der schwierigen Entscheidungen, die sie zuletzt hatte treffen müssen, fand sie es unmöglich, solche Worte auszusprechen. Ein letztes Mal auf einem Pferd zu reiten, das ihrer Fähigkeiten würdig wäre – was konnte es schon schaden?
„Wenn Sie es wünschen, Sir ... Allerdings, da gibt es ein Fleckchen Erde, wo ich sehr gern den Sonnenaufgang beobachte.“
„Und wie früh müssten wir aufbrechen, wenn wir dieses Schauspiel genießen möchten?“
„Wenn Sie um sieben vor meiner Tür erscheinen, werden Sie etwas ganz Besonderes erleben. Ich weiß, in London ist es nicht üblich, um diese Stunde aus den Federn zu kriechen.“
„Bitte, bedenken Sie, dass ich zu Old Hookys Adjutanten zählte. Sicher wissen Sie, dass der Duke of Wellington wegen seiner ausgeprägten Hakennase so genannt wurde. In seinen Diensten sah ich sehr viele Sonnenaufgänge.“
„Um sieben“, wiederholte Isabella und wollte Mr Wakefield einen warnenden Blick zuwerfen. Aber irgendwie wurde ein Lächeln daraus, das er erwiderte.
Dann berührte er die Krempe seines Zylinders, den sie bei seinem Besuch bewundert hatte, und stieg in seine Kutsche zurück.
Nachdem er davongefahren war, blieb sie ganz allein auf der zerfurchten Sandstraße zurück, und es fiel ihr schwer, das Gefühl des Verlustes zu erklären, das sie bedrückte.
„Nun, hat es sich gelohnt, dass Sie so zeitig aufgestanden sind?“, fragte Isabella ihren Begleiter.
Noch immer betrachtete Guy die Landschaft, die vor ihm lag. In seinem markanten Kinn spannte sich ein Muskel an. „Können Sie daran zweifeln, Mrs Stowe?“
Sie wandte ihr Gesicht zur aufgehenden Sonne, deren Strahlen die Szenerie zunächst in schwaches rosiges Licht gehüllt hatte. Jetzt schimmerten Hügel und Täler wie Altgold. Der morgendliche Dunst verlieh den Farben einen unwirklichen Schimmer.
An diesem Aussichtspunkt wurde ihr Herz stets aufs Neue bewegt. „Viele Menschen würden die Magie gar nicht bemerken.“
„Gewiss nicht, wenn sie jemals unfähig waren, irgendetwas zu sehen“, betonte er.
Beinahe hatte sie die Umstände der allerersten Begegnung vergessen. Weil er nicht mehr so jung und verletzlich war?
„Tut mir leid, daran dachte ich nicht, Sir.“
„Warum sollten Sie auch?“ Lächelnd schaute er sie an. „So lange ist es her.“
Von einem Schatten in seinen unglaublich blauen Augen verstört, richtete Isabella ihren Blick wieder auf den letzten Rest des Wunders. Um es Mr Wakefield zeigen, hatte sie ihn hierher geführt. Ihr Wallach – eines der edelsten Pferde, das sie jemals geritten hatte –, warf seinen Kopf hoch und tänzelte unruhig. Offenbar ärgerte ihn die erzwungene Untätigkeit.
Obwohl sie ihn sehr schnell wieder unter Kontrolle brachte, verstand sie seine Ungeduld. Bisher hatten sie einander noch nicht richtig erprobt. Zumindest nicht in einem Ausmaß, das beide zufriedengestellt hätte.
„Wahrscheinlich wünscht er sich einen Galopp“, meinte Guy. Seine Stimme klang nicht herausfordernd. Doch seine Miene drückte etwas anderes aus.
„Da haben Sie sicher recht, Sir.“
Isabella wendete ihr Pferd, wollte es den sanft abfallenden Hang hinablenken, den sie hinaufgeritten waren, und dann auf eine ausgedehnte Wiese. Aber eine behandschuhte Hand auf ihrer hielt sie zurück. Sie hob ihre Peitsche – eine reflexartige Geste, ihrem Ärger entsprungen.
„Verzeihen Sie mir, Mrs Stowe“, bat ihr Begleiter, „ich muss Sie warnen ...“
„Entfernen Sie Ihre Hand, Mr Wakefield.“
Nur sekundenlang tauchten die Blicke ineinander. Dann wurden ihre Finger losgelassen. Wachsende Empörung erhitzte Isabellas Blut. Die Fersen in die Flanke des Rotschimmels gedrückt, jagte sie ihn den Hang hinab.
Sofort verflog der Zorn. Wie ein belebendes Elixier strömte freudige Erregung durch ihre Adern. Zu lange in Sorgen und Nöten gefangen, hatte sie dieses besondere Glück schmerzlich vermisst – eng mit einem Pferd verbunden zu sein und trotzdem zu wissen, dass sie seine Kraft beherrschte.
Als gäbe es nichts anderes ...
Hastig verbannte sie den unerwünschten Gedanken und beugte sich über den Hals des Wallachs. Wenn sie den Reiter auch wahrnahm, der ihr folgte – sie ignorierte ihn und genoss in vollen Zügen das seit so vielen Jahren ungewohnte Gefühl grenzenloser Freiheit.
Nach einer Weile spürte sie das erste Zittern einer Ermüdung in den starken Beinen des Rotschimmels. Allmählich drosselte sie das Tempo, bis sie das
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