Weil Du an die Liebe glaubst
gewöhnlich unerklärlich zu sein scheint, liegt das daran, daß ich die Motive der anderen Person nicht verstehe.« Stephen seufzte. »Oder vielleicht ist sie wirklich eine Blutsaugerin. Ich hätte nichts sagen sollen. Da ich der Frau nie begegnet bin, bin ich nicht der Lage, eine Meinung zu haben.«
Er stand auf. »Zeit zu gehen. Willst du mit nach Abbey kommen? Ich würde dich gerne
dorthaben.«
»Heute abend nicht. Ich bin zu müde. Morgen vielleicht.« Michael rieb sich seine schmerzenden Augen. »Sag Barlow, er möchte mir heißes Wasser hochbringen lassen. Ich werde besser schlafen, wenn ich den Reiseschmutz abgewaschen habe.«
»Eine gute Idee. Wäre ich ein französischer Soldat, der dich in deinem jetzigen Zustand sähe, ich würde mich auf der Stelle ergeben.«
»Das haben viele von ihnen getan.« Nachdem beide gelacht hatten, fügte Michael ruhig hinzu:
»Danke dafür, daß du dich bemüht hast, das Kriegsbeil zu begraben. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, es zu versuchen.«
»Ich weiß. Darum mußte ich es tun.« Stephens Hand fiel kurz auf die Schulter seines jüngeren Bruders. Dann ging er.
Michael lag reglos auf seinem Bett, und seine Gedanken überschlugen sich, bis das heiße Wasser gebracht wurde. Das Waschen und Rasieren bereitete Mühe, aber er fühlte sich dadurch menschlicher. Er steckte sein Rasiermesser wieder in die Satteltaschen, als er auf das Kaleidoskop stieß. Er führte das silberne Rohr an ein Auge. Ein kristallener Stern funkelte darin. Zerbrochene Regenbogen. Zersplitterte Hoffnungen. Zerbrochene Träume. Er drehte das Rohr, und das gefärbte Glas bewegte sich mit einem leisen Rasseln und bildete ein neues Muster.
Sein erstes Kaleidoskop hatte ihm in früheren Zeiten seines Lebens Trost gespendet. Nach Caros Tod hatte er oft stundenlang hineingeschaut und versucht, sich in den sich bewegenden, hypnotisierenden Formen zu verlieren, während er im Chaos seines Lebens nach Ordnung suchte.
Anders als Stephen war er kein guter Menschenkenner. Er konnte nicht aufhören, Catherine zu begehren, obwohl sie ihn wieder und wieder betrogen hatte und dann kalt wegen eines besseren Angebotes zurückgewiesen hatte.
Er drehte das Kaleidoskop. Die ursprüngliche Figur löste sich zu einer schimmernden vielfarbigen Schneeflocke auf.
Bis heute abend würde er gesagt haben, daß er und sein Bruder zu einer lebenslangen, kaum verhohlenen Feindschaft verdammt seien. Er hatte sich geirrt. Wenn er sich so bei Stephen irren konnte, konnte er sich auch bei Catherine irren?
Der Grundcharakter verändert sich nicht.
Eine weitere Drehung, und die
Regenbogenfragmente formierten sich zu flacheren Winkeln. Er starrte blicklos auf die Form, während sich in seinem Verstand neue Muster bildeten und er sie mit der gleichen kalten Distanz analysierte, die er genutzt hätte, um ein militärisches Taktikproblem zu lösen.
Selbst als er hoffnungslos von Caroline berauscht war, war er sich ihrer charakterlichen Mängel bewußt gewesen. Obwohl er das ganze Ausmaß ihrer Boshaftigkeit und ihres Betruges erst Jahre später entdeckte, hatte er ihre Eitelkeit und ihre kleinen Schwindeleien bemerkt, ihre Selbstsüchtigkeit und ihr Bedürfnis, immer die Oberhand zu haben.
Catherine war anders. Obwohl sie oft und gut gelogen hatte, war dies immer aus einer Notwendigkeit heraus geschehen. Ansonsten war sie ehrlich gewesen. Und sie war niemals, niemals grausam gewesen. Stephen hatte recht: Für einen objektiven Beobachter mußte ihr Verhalten während ihres entsetzlichen letzten Zusammentreffens so seltsam sein, daß es geradezu unglaublich schien.
Er hatte blindlings die Prämisse akzeptiert, daß Catherine ihn nicht wirklich wollte. Caro hatte es ihm leicht gemacht zu glauben, daß er ein Narr war, was Frauen betraf. Aber vielleicht hatte er die Abweisung zu schnell hingenommen.
Vergiß, was Catherine gesagt hat. Begrabe ihre brutalen Worte und den Schmerz, der damit verbunden war. Denk statt dessen über das nach, was sie getan hat. Welcher unbekannte Faktor hätte sie dazu bewegen können, ihn
fortzuschicken?
Nicht Gier. Eine gierige Frau hätte nicht die Perlen ihrer Mutter verkauft, um für das uneheliche Kind ihres Mannes zu sorgen.
Ein Wunsch, den sterbenden Laird zu beschwichtigen? Vielleicht, aber sie hatte ihren Großvater nur wenige Tage gekannt. Ihre Loyalität gegenüber dem Laird konnte nicht stärker sein als ihre Loyalität ihm gegenüber.
Hatte sie befürchtet, daß Amy um ihr
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