Weil du ein zärtlicher Mann bist
Verzögerungen bei ihrem Projekt, der Leitung des nächsten Raumfluges STS-124. So, wie die Dinge lagen, würden sie alle sehr hart arbeiten müssen, um den Ersatzpiloten ins Team zu integrieren.
Wegen der wütenden, verschreckten und aufgeregten Stimmen um sie herum vermutete Corinne, dass das Ganze in eine Panik auszuarten drohte. Sie vergab daher demjenigen, der sie fast vom Hocker gestoßen hatte. Aber sie hatte nicht vor, sich noch einmal anrempeln zu lassen.
“Ich werde mich jetzt zur Rezeption vorkämpfen”, sagte sie entschlossen und drehte den Kopf in die Richtung, in der sie ihren Unbekannten vermutete. Sich in dem Tumult Gehör zu verschaffen war nicht ganz einfach. Deshalb beugte sie sich noch etwas weiter vor und rief laut: “Ich werde mir ein Zimmer nehmen und den Stromausfall einfach ausschlafen. Oh, Entschuldigung!” Sie hatte ihn beim Sprechen mit den Lippen berührt. Sein Ohr, dachte sie, obwohl es ihr plötzlich schwerfiel, überhaupt zu denken, denn diese Berührung hatte etwas in ihr geweckt: Lust.
Sie registrierte die Tatsache und speicherte sie in ihrem eher technisch orientierten Gehirn. Aber es änderte nichts an dem Phänomen.
“Ich komme mit Ihnen.” Mehr sagte er nicht, aber in der Dunkelheit schien seine Stimme noch tiefer, noch heiserer und sinnlicher, wenn das überhaupt möglich war. Ehe sie dagegen protestieren konnte, hatte er sie bei der Hand genommen und zog sie hinter sich her zum Ausgang.
Inzwischen herrschte nicht mehr völlige Dunkelheit. Der Generator war zwar noch nicht angesprungen, doch der Barkeeper hatte Kerzen auf dem Tresen aufgestellt und versuchte sein Möglichstes, um die Leute zu beruhigen.
Hand in Hand mit dem Unbekannten, folgte Corinne ihm. Ein merkwürdiges Gefühl, jemandem zu folgen, etwas, was sie als geborene Führungskraft nur selten tat. Doch dieser Mann erschien ihr aufrichtig, also ließ sie es zu, dass er sich mit ihr einen Weg durch die Menge bahnte. Sie musste zugeben, dass es ihr ausnahmsweise einmal gefiel, sich jemandem anzuvertrauen. Zum einen roch er äußerst angenehm, zum anderen konnte sie selbst in dem schwachen Kerzenlicht seine breiten Schultern und seinen kräftigen Rücken ausmachen. Wenn nur das Licht ein wenig besser wäre, könnte sie auch seinen nicht zu verachtenden Po …
“Oh, oh”, sagte er und blieb so abrupt stehen, dass sie in ihn hineinrannte. Er drehte sich zu ihr um, umfasste ihre Taille und hielt sie mühelos fest, als sie fast ihr Gleichgewicht verloren hätte. “Sieht so aus, als wären ein paar Leute schneller gewesen.”
Er hatte recht.
Die Lobby des Hotels wurde von Kerzen und batteriebetriebenen Lampen in ein fast surreales Licht getaucht. Die Empfangsdame hinter dem Tresen war angesichts der nicht enden wollenden Menschenschlange, die jetzt aus der Bar herauskam, einer Hysterie nahe.
In weniger als drei Minuten hatte sich jedoch die Schlange aufgelöst. Ein schlechtes Zeichen. Um sie herum nahm das unzufriedene Gemurmel zu, eine Imitation des Gewitters draußen, während Wind und Regen gegen die Fenster peitschten und es fast unmöglich machten, etwas zu verstehen.
Aber nur fast.
“Sie haben keine freien Zimmer mehr”, stöhnte die Frau vor ihnen. “Und nun?”
Corinne lauschte auf das Heulen des Sturms, und Unmut überkam sie. Der Gedanke, wieder hinausgehen zu müssen, um sich eine andere Bleibe zum Schlafen zu suchen, behagte ihr ganz und gar nicht. Verflixt, sie war gerade einigermaßen trocken geworden. Dass sie ihrer Assistentin gesagt hatte, sie brauche sich nicht um eine Zimmerreservierung für diese eine Nacht zu kümmern, weil sie am nächsten Tag ihr Zimmer auf dem Luftwaffenstützpunkt beziehen konnte, stellte sich jetzt als ziemlich leichtsinnig heraus. Energisch drängelte sie sich an den immer noch wartenden Menschen vorbei und marschierte zur Rezeption. “Ich möchte ein Zimmer”, erklärte sie der fast in Tränen aufgelösten Empfangsdame kühl.
Die Frau schluckte nur.
Corinne überlegte kurz, ob sie die Frau ermahnen sollte, sich gefälligst zusammenzureißen. Sie sollte den Leuten helfen, anderswo ein Zimmer zu finden, oder zumindest ein wenig selbstsicherer auftreten, damit die anderen aufhörten, sie anzubrüllen. Doch sie entschied dann, dass es sinnlos wäre. “Prüfen Sie noch einmal nach, ob etwas frei ist”, sagte sie stattdessen in ruhigem, aber bestimmtem Ton. “Ich nehme alles.”
Der Fremde stand plötzlich neben ihr und legte ihr ganz sanft eine Hand ins
Weitere Kostenlose Bücher