Weil du mich beruehrst
Moment im Bett und rief sich die stürmischen Ereignisse des vorigen Abends in Erinnerung.
Nachdem sie Ian auf der Tanzfläche stehen gelassen hatte, war sie in verzweifelter Suche nach der Küche durch das Labyrinth in Belford gelaufen. Zwanzig Minuten und zwei Auskünfte von Kellnern später hatte sie gefunden, wonach sie suchte: Mrs. Hanson stand in den Küchenräumen im Untergeschoss und legte am üppigen Mitternachtsbuffet letzte Hand an.
»Francesca!« In einer Mischung aus Schock und freudiger Überraschung rief Mrs. Hanson ihren Namen, als sie auftauchte. Doch schnell tat die gute, ältere Dame so, als wäre es die natürlichste Sache der Welt, dass sie in ihrer schicken Garderobe in die Küche taumelte.
Mrs. Hanson machte ihr eine Tasse Tee, die Francesca am zentralen Küchenblock trank, so wie sie es aus Ians Penthouse schon gewohnt war. Francesca berichtete nicht, warum sie sie in solch ungewöhnlichen Umständen aufgesucht hatte, aber Mrs. Hanson schien es auch ohne Erklärung zu verstehen. Die Gerüchte über Ians Rückkehr waren wohl auch schon bei ihr angekommen. Sie beantwortete Francescas unzusammenhängende Fragen zu banalen Dingen wie dem Fest, nur durch gelegentliche Befehle unterbrochen, die sie den Kellnern zurief.
Schließlich war Francesca wieder nach oben gegangen und blieb bis nach ein Uhr auf dem Ball. Sie tat, als würde sie sich amüsieren und als wäre Ian nicht ebenfalls im Saal. Ihn zu ignorieren kostete sie das letzte bisschen an Kraft, das noch in ihr geblieben war.
Zu versuchen, ihn zu ignorieren , denn es war ihr überhaupt nicht gelungen.
Als sie aber im Bett gelegen hatte, musste sie überrascht feststellen, dass sie bei aller Erschöpfung keinen Schlaf finden konnte. Es gab niemanden mehr, dem sie noch etwas vormachen konnte, sie lag ganz allein im Dunkeln. Ians Ankunft hatte ihren bröckeligen Selbstbetrug zum Einsturz gebracht. Schlaf war zu einer Unmöglichkeit geworden.
Bis sie schließlich verzweifelt aufgestanden war und ihn aufgesucht hatte.
Es war richtig gewesen.
Ein merkwürdiges Gefühl, sich an diesem hellen Dezembermorgen so wach zu fühlen. Ihre sensiblen Nerven prickelten … sie fühlte sich so gut und zugleich so niedergeschlagen. Ihr Verlangen zu befriedigen war genau das gewesen, was sie zur Entspannung gebraucht hatte, und er hatte das gewusst. Ein Teil von ihr wohl auch.
Vor dem Badezimmerspiegel stehend, schloss sie die Augen und ließ sich von dem mächtigen, paradoxen Gefühl der Beklemmung und zugleich Erregung überwältigen, das bei dem Gedanken an die Nacht im Salon bei ihr aufkam. Nie, niemals zuvor hätte sie je von sich gedacht, sie könnte so kühn sein … so verzweifelt. Im Rückblick auf das, was sie im Halbdunkel der vergangenen Nacht getan hatte, kam es ihr vor, als seien dies Erinnerungen eines anderen Menschen, die in ihren Kopf verpflanzt worden waren. Die Details waren alle quälend lebhaft, zugleich aber auch irgendwie fremd.
Er hatte sie verlassen. Er hatte keine Erklärung dafür angeboten (sie hatte es ihm auch gar nicht erlaubt), und fast augenblicklich in dem Moment, in dem er wiederauftauchte, hatte sie ihn besucht und sich von ihrer Muschi leiten lassen.
Nein. Du hast dich von seinem Schwanz leiten lassen.
Das war ein weiterer Grund, weshalb es ihr so schwerfiel, sich selbst im Spiegel anzuschauen. Scham, Wut und Sehnsucht waren ein unerträgliches Gebräu.
Sie duschte, zog sich Jeans, Stiefel und einen warmen Sweater an und band ihre Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen. Kurz darauf verließ sie ihr Zimmer, unter dem Arm ihren Skizzenblock, Stifte, ihren Mantel, eine Mütze und Handschuhe.
Sie saßen schon alle dort, als sie hereinkam – Lucien, Elise, Anne, James, Gerard …
Ian.
Die Stimmung im gemütlichen Salon war locker und sehr gelöst. Alle schienen nach der bis weit in die Nacht hin andauernden Feier angenehm entspannt. Elise war gerade dabei, lebhaft eine lustige Szene aus einer momentan sehr angesagten Comedy-Serie nachzuspielen. Ihre Freundin kauerte in einer Ecke des Sofas, ihre Knie lagen wie beiläufig an Luciens Hüften. Francesca war neidisch darauf, wie ungezwungen sich Elise in solch einer eleganten Umgebung verhalten konnte. Das war wohl eine natürliche Folge ihrer Erziehung. Francesca würde ein derartiges, angeborenes Selbstvertrauen wohl niemals erreichen können.
»Guten Morgen«, begrüßte Francesca alle. »Entschuldigt bitte, dass ich erst jetzt aufgestanden bin.«
»Kein Wort
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