Weil ich Layken liebe
bezahlt werden mussten, und mit einem Kind – meinem kleinen Bruder –, um das ich mich kümmern musste. Was wäre gewesen, wenn meine Eltern sich vorher mit der Möglichkeit auseinandergesetzt hätten, dass sie plötzlich beide tot sein könnten? Wenn wir die Gelegenheit gehabt hätten, über alles zu sprechen, Vorsorge zu treffen und Wünsche zu äußern? Wenn es nicht so leicht gewesen wäre, nicht über den Tod zu reden, solange sie noch am Leben waren, wäre es mir vielleicht nicht so schwergefallen, damit klarzukommen, als sie dann auf einmal tot waren.«
Will sieht mich direkt an, während er eine weitere Zeile markiert.
Begriffen, dass es nicht bloß
um sie geht und ihre Angst.
»Alle gehen immer davon aus, dass sie mindestens noch einen weiteren Tag haben, dass sie nicht heute sterben. Ich bin mir sicher, wenn meine Eltern auch nur den Hauch einer Ahnung gehabt hätten, was passieren würde, hätten sie allesin ihrer Macht Stehende getan, um sich und uns vorzubereiten. Alles. Es war nicht so, dass sie nicht an uns gedacht hätten – es war der Tod, an den sie nicht denken wollten.«
Jetzt markiert er die letzte Zeile des Gedichts.
Tod.
Das Einzige, das unausweichlich ist im
Leben.
Ich betrachte den Satz und lese ihn. Dann lese ich ihn noch einmal und noch einmal. Ich lese ihn immer wieder, bis zum Ende der Stunde, bis alle um mich herum gegangen sind. Alle außer Will.
Er sitzt an seinem Tisch und sieht mich an. Wartet darauf, dass ich verstehe.
»Ich weiß, was du mir sagen willst, Will«, flüstere ich. »Ich verstehe. Wenn du in der ersten Zeile schreibst, dass der Tod das einzig Unausweichliche im Leben ist, betonst du das Wort ›Tod‹. Aber in der letzten Zeile liegt die Betonung auf dem Wort ›Leben‹. Ich verstehe, Will. Sie versucht, uns auf das Leben vorzubereiten. Auf das letzte bisschen Leben, das ihr mit uns bleibt.«
Er beugt sich wortlos zum Beamer vor und schaltet ihn aus, während ich meine Sachen packe und nach Hause fahre, obwohl ich noch ein paar Stunden Unterricht hätte.
Kurz darauf sitze ich am Bett meiner schlafenden Mutter. Jetzt, wo sie allein ist, hat sie keine eigene Seite mehr in dem großen Bett und liegt in der Mitte.
Sie trägt immer noch ihre weiße Schwesternkleidung. Wenn sie nachher aufwacht und sich auszieht, wird es das letzte Mal sein, dass sie sie ablegt. Ich frage mich, ob das der Grund ist, warum sie sie nicht gleich ausgezogen hat. Weil sie das auch weiß.
Ich beobachte, wie sich ihr Brustkorb regelmäßig hebt und senkt. Bei jedem Atemzug rasselt ihre Lunge und lässt hören, wie schwer es ihr fällt, Luft zu holen. Die Lunge, die sie im Stich gelassen hat.
Als ich Mom ganz vorsichtig übers Haar streichle, löst sich eine Strähne und fällt aufs Laken. Ich nehme sie und gehe in mein Zimmer. Dort hebe ich die lila Haarspange auf, die immer noch in einer Ecke am Boden liegt, klemme die Haare darin fest und lege sie unter mein Kissen. Danach gehe ich wieder zu meiner Mutter zurück, schlüpfe zu ihr ins Bett und umarme sie fest. Mom tastet nach meiner Hand und wir verschränken unsere Finger ineinander und reden, ohne ein einziges Wort zu sagen.
16.
»…«
– THE AVETT BROTHERS, »COMPLAINTE D’UN MATELOT MOURANT«
Nachdem Mom wieder eingeschlafen ist, fahre ich zum Supermarkt, um die Zutaten für Basagne einzukaufen – Kels Lieblingsessen, seit er ein kleiner Junge war, der »Lasagne« noch nicht richtig aussprechen konnte. Anschließend stelle ich mich in die Küche und bereite die Bolognese- und die Béchamelsoße vor.
»Mhm, das duftet herrlich nach Basagne«, sagt Mom, als sie aus ihrem Zimmer kommt. Sie hat sich umgezogen und trägt jetzt Jeans und einen weichen Pulli.
»Für Kel. Ich könnte mir vorstellen, dass er sie nachher brauchen wird.«
Sie geht zum Spülbecken und wäscht sich die Hände, bevor sie mir hilft, Nudelplatten in die Auflaufform zu schichten, während ich die Soße darüberlöffle.
»Heißt das, wir haben aufgehört, Kürbisse zu schnitzen?«.
»Ja«, antworte ich. »Die Kürbisse sind alle fertig geschnitzt.«
Sie lacht.
»Aber bevor ich Kel gleich von der Schule abhole, müssen wir reden, Mom. Darüber, was mit ihm werden soll.«
»Genau das will ich, Lake. Ich will darüber reden.«
»Aber warum willst du nicht, dass er hier bei mir bleibt und ich mich um ihn kümmere? Traust du mir das nicht zu? Glaubst du, ich wäre keine gute Mutter?«
Sie legt die letzte Schicht Nudeln in die Form und ich
Weitere Kostenlose Bücher