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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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hatte. Was bildet sich dieser Mensch ein, dass er meint, er
könnte dir die Tatsachen vorenthalten? Aber dann merkst du, dass der
Schulleiter recht hat. Du willst nichts davon sehen.
    »Woher wissen Sie, dass es Rob ist?«
    »Es ist Rob«, sagt er.
    »Sie sind sicher?«
    »Ja. Außer mir haben ihn noch zwei Kollegen eindeutig erkannt.«
    »Oh Gott«, sagst du wieder. Kein Ausweg.
    Die Vorstellung, dass andere Erwachsene deinem Sohn beim Sex
zugesehen haben, ist beklemmend.
    Der Schulleiter schiebt dir die Wasserflasche hin. Du nimmst sie und
trinkst. »Muss ich einen Anwalt nehmen?«, fragst du.
    Der Schulleiter schaut weg. »Ich würde das an Ihrer Stelle nur dann
tun, wenn ich den Schulausschluss anfechten wollte«, erklärt er. »Aber das
würde bedeuten, dass der Vorfall öffentlich gemacht werden müsste.«
    »Und das ist jetzt nicht nötig?«, fragst du.
    »Nein, eigentlich nicht. Die Schüler hier werden natürlich erfahren,
dass Rob und die anderen Jungen nicht bleiben können, und es wird unweigerlich
Gerüchte geben. Aber bis jetzt ist der Vorfall reine Schulsache, und ich sehe
überhaupt keinen Anlass, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.«
    Du schüttelst dir das Haar aus dem Gesicht. Das schräg einfallende
Licht blendet dich, du bekommst Kopfschmerzen davon. Auf dem Schreibtisch des
Schulleiters steht ein gerahmtes Foto, das den Mann in jüngeren Jahren mit
einer großen dunkelhaarigen Frau zeigt. Du kennst diese Frau, die Frau des
Schulleiters, du bist ihr ein- oder zweimal begegnet, aber ihr Name fällt dir
im Moment nicht ein.
    »Was bedeutet Schulausschluss genau?«, fragst du.
    »Es bedeutet, dass Rob die Schule ab sofort verlassen muss. Er kann
sich im Frühjahr um Neuaufnahme im nächsten Herbst bewerben. Ich würde meinen,
dass er gute Chance hat, wieder aufgenommen zu werden. Mrs. Leicht, Ellen, Ihr Sohn ist ein
sehr guter Schüler, ein hervorragender Sportler und, abgesehen von diesem
Vorfall, ein guter Junge.«
    Die Erinnerung an den guten Jungen ist
beinahe nicht auszuhalten. Du musst an den Pfadfinder denken, den
Skateboardfahrer, den kleinen Jungen in der Badewanne.
    »Es ist sehr, sehr traurig, dass so etwas ans Licht gekommen ist«,
sagt der Schulleiter dir, »und glauben Sie mir, ich bin über diese Sache
genauso bekümmert wie jeder andere.«
    Das bezweifelst du.
    »Ich würde Ihnen raten, ihn auf jeden Fall für den Rest des Jahres
auf eine öffentliche Schule zu schicken, damit er mit dem Stoff weiter
vorankommt.«
    »Er wurde ›bevorzugt‹ an der Brown angenommen.« Du hörst den
Jammerton, unangemessen unter den Umständen. Ein junges Mädchen ist missbraucht
worden. Dein Sohn hat sich vielleicht der Unzucht mit Minderjährigen schuldig
gemacht.
    Der Schulleiter schüttelt den Kopf. »Die Universität muss informiert
werden«, sagt er leise.
    Du lässt dich in deinem Sessel zurückfallen. »Man hat einfach nie
daran gedacht …«, sagst du.
    Endlose Stunden des Lernens, Prüfungen, Zeugnisse, die stolz
herumgezeigt wurden. Und wozu das alles?
    »Ist mein Sohn jetzt der Unzucht mit Minderjährigen schuldig?«,
fragst du.
    »Genau genommen nicht«, antwortet der Schulleiter. »In Vermont
spricht man im Fall von Geschlechtsverkehr mit einer Minderjährigen von sexueller Nötigung . Aber Ihrem Sohn wurde keine Straftat
zur Last gelegt. Was allerdings die Frage der Schuld angeht, so gibt es da
keine Zweifel.«
    »Die Frage der Schuld?«, wiederholst du. »Ich verstehe nicht.«
    »Rob hat ein schriftliches Geständnis abgelegt«, erklärt dir der
Schulleiter. »Es wird am Freitag dem Disziplinarausschuss vorgelegt. Das macht
eine mündliche Aussage und eine Besichtigung des Bandes unnötig.«
    »Rob hat ein Geständnis unterschrieben?«
    Du merkst selbst, dass du dich wie ein Papagei anhörst, aber dein
Hirn scheint nicht fähig zu sein, die Fakten so zügig zu verarbeiten wie sonst.
    »Es ist ein ganz einfaches Papier«, sagt der Schulleiter in
beschwichtigendem Ton, als erwartete er gleich einen Sturm.
    »Darf ich es sehen?«, fragst du.
    Der Schulleiter zögert. »Es enthält Einzelheiten, die Sie vielleicht
lieber nicht lesen möchten. Jedenfalls im Moment nicht.«
    Es widerstrebt dir, dass dir ein Dokument vorenthalten werden soll,
das dein eigener Sohn verfasst hat, aber wieder siehst du ein, dass der
Schulleiter recht hat. Du möchtest, jedenfalls im Moment, lieber keine Einzelheiten
über diesen Vorfall wissen, der vielleicht so etwas wie eine Sexorgie war. Du
merkst, wie

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