Weil sie sich liebten (German Edition)
gestellt hast.
»Was ist passiert?«
Der Schulleiter fragt, ob du vielleicht ein Glas Wasser möchtest,
und du sagst Ja. Er greift hinter sich und nimmt eine halbe Flasche Poland
Spring von einem Bord. Deine Hände zittern, und du weißt, dass er das bemerkt.
Mit einer nervösen Bewegung streichst du dir das Haar hinter dir Ohren und
merkst dabei, dass du einen Ohrring verloren hast. Du greifst ans andere Ohr.
Du hast nur einen Ohrring an. Du überlegst – schnell, weil jetzt nicht die Zeit
dazu ist –, dass der andere im Auto sein muss.
»Rob und ich haben miteinander über die Angelegenheit gesprochen«,
sagt der Mann dir gegenüber.
Du holst hastig Luft. »Sie sagten am Telefon nur, dass Rob ein
schwerer Regelverstoß – äh – sexueller Natur vorgeworfen wird. Hat man ihn der
Schule verwiesen?«
»Dazu wird es kommen«, antwortet der Schulleiter.
Du drehst ein wenig den Kopf, als hättest du nicht recht verstanden.
Der Schule verwiesen . Die Worte
durchdringen jede Abwehr.
»Was hat er getan?«, fragst du.
»Es fällt mir schwer, es auszusprechen, Mrs. Leicht.«
»Ellen.«
Der Schulleiter mustert dich einen Moment. Er setzt sich ein wenig
anders in seinen Sessel. Du wirst dir bewusst, dass du vorgebeugt auf der Kante
des deinen sitzt.
»Ihr Sohn war in einen Vorfall sexueller Nötigung einer
Minderjährigen verwickelt«, sagt er.
Es dauert einen Moment, ehe du reagieren kannst. »Was?«, fragst du.
Der Schulleiter wiederholt seine Worte nicht.
»Ich verstehe das nicht«, sagst du. Und es stimmt. Du kannst dir das
nicht vorstellen.
»Er hatte … Sex … mit einer erst Vierzehnjährigen. Rob ist achtzehn,
soviel ich weiß.«
Du nickst langsam, während du versuchst, das alles zu begreifen.
»Und das ist Grund für einen Schulausschluss?«, fragst du.
Der Schulleiter scheint bestürzt zu sein. »Ja, ich fürchte, so ist
es.« Einen Augenblick sieht es aus, als wollte er noch etwas sagen, aber er tut
es nicht.
»Oh Gott«, sagst du.
Der Schulleiter nimmt einen Stift zur Hand und klopft damit leicht
auf einen Schreibblock.
»Sind Sie sicher, dass Rob das war?«, fragst du.
»Ja«, antwortet er.
»Woher wissen Sie, dass dieses Mädchen, ich nehme an, sie hat einen
Namen, dass diese Vierzehnjährige und mein Sohn in diesen … diesen Vorfall, wie
Sie es ausdrücken, verwickelt waren?«
»Der Vorfall wurde auf Band aufgezeichnet«, gibt der Schulleiter
widerwillig zu. »Das Band wurde mir gezeigt. Daher weiß ich von der Sache.«
Du drückst die Faust auf deine Brust. Fest. »Ein Band?«, fragst du.
»Ja.«
»Mein Sohn mit diesem Mädchen. Sie haben es gesehen?«
»Ja.«
»Ist es …?«, beginnst du, schaffst es aber nicht die Frage zu
vollenden.
»Deutlich zu erkennen?«, fragt er für dich. »Ja, das ist es.«
Du drückst die Hand auf den Mund, als wärst du diejenige, die
erwischt worden ist. Die bloßgestellt ist.
Der Schulleiter wartet. Er hat winzige Schweißtröpfchen am
Haaransatz. Das ist auch für ihn schwierig , denkst
du. Entsetzlich wahrscheinlich.
»Wie viele Leute haben das Band gesehen?«, fragst du.
Er rutscht in seinem Sessel hin und her, als würde er über diese
Frage lieber nicht nachdenken. »Das ist schwer zu sagen«, antwortet er
vorsichtig. »Vier Kollegen. Wir wissen nicht, wie viele Schüler, aber wir haben
Grund zu der Annahme, dass einige von ihnen es gesehen haben.«
Du sagst nichts.
»In den Vorfall selbst waren mehrere Personen verwickelt«, lässt der
Schulleiter der ohnehin schon schlimmen Nachricht weitere Schläge folgen.
»Fünf, um genau zu sein.«
»Fünf?«
»Drei Jungen, unter ihnen Ihr Sohn, und das Mädchen. Und die Person
hinter der Kamera. Wir wissen noch nicht, wer das war.«
Du kannst es nicht fassen. »Dann war es … das war … eine Orgie?« Das
Wort ›Orgie‹ kommt dir nur stockend über die Lippen.
Der Schulleiter reibt sich mit einem Finger unter der Nase, als
müsste er niesen. »Etwas in der Art«, sagt er. »Ich würde lieber nicht ins
Detail gehen. Ich glaube nicht, dass Sie Einzelheiten wissen müssen. Es würde,
meine ich, weder Ihnen noch Ihrem Sohn helfen. Eines kann ich Ihnen jedoch
sagen – wie formuliere ich das am besten? –, Rob scheint keinen Geschlechtsverkehr
mit dem Mädchen gehabt zu haben.«
Unerwünschte Bilder überschwemmen dich. Du stemmst dich gegen die
Flut. Dich empört die Vorstellung, dass
man dir nicht gestatten will, alles über ein Geschehnis zu erfahren, an dem
dein Sohn Anteil
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