Weil sie sich liebten (German Edition)
schon nicht aus der Oberschicht, so doch mindestens aus der gebildeten
Mittelschicht.
»Mein Vater war Mechaniker am Logan-Flughafen«, sagte Mike. »Er war
ein guter Mann, aber ich glaube, er war enttäuscht von mir. Ich hatte nie auch
nur das geringste handwerkliche Geschick. Mich zog es von Anfang an zu den
Büchern, hauptsächlich dank meiner Mutter, die eigentlich studieren wollte, es
aber nicht getan hatte.«
»Warum nicht?«
»Sie wurde mit meiner älteren Schwester schwanger und hat meinen
Vater geheiratet. Sie war erst neunzehn. Die Ehe hielt nicht. Nach der
Scheidung heiratete meine Mutter einen Lehrer. Ich war damals neun.«
»Oh.« Anne faltete die Hände unter dem Kinn. »Das muss schlimm für
Sie gewesen sein.«
»Ja«, bekannte Michael aufrichtig. »Ich mochte den Mann nicht, den
meine Mutter heiratete, und war ihr sehr böse. Ich wurde von meiner Schwester
und meinem Vater großgezogen. Aber genau genommen verdanke ich das meiste, was
ich vom Leben weiß, Büchern. Das ist einer der Gründe, warum ich mich zur
akademischen Welt hingezogen fühlte.«
»Möchten Sie nicht einen von diesen Weinen aufmachen?«, fragte Anna
unvermittelt. »Er muss doch richtig atmen können?«
»Natürlich«, bestätigte Mike, froh, dass er nicht mehr von sich
reden musste.
Anna holte einen Korkenzieher. Mike wählte den besten Rotwein, den
er mitgebracht hatte. Viel zu gut für den Elternbeirat, aber perfekt für ein
spontanes Glas am Spätnachmittag, der dadurch einen gewissen europäischen
Charme gewann. Er hantierte mit dem Korkenzieher, einem billigen Ding, das ihn
befürchten ließ, der Korken könnte zerbrechen. Dann goss er den Wein in die
zwei ungleichen Kelchgläser, die Anna zum Tisch gebracht hatte.
Sie hoben ihre Gläser gleichzeitig. »Auf …?«, sagte sie fragend.
»Auf engagierte Eltern und hervorragende Schüler«, schlug er vor.
»Nein, auf Sie«, sagte sie und stieß mit Mike an.
Er nahm den Toast an und trank einen Schluck. Es passte irgendwie
nicht, einen edlen Wein in einer so bescheidenen Küche zu trinken, aber diese
Küche war für Mike schon seit geraumer Zeit nur noch Kulisse für Anna, deshalb
konnte er sich relativ leicht einbilden, sie säßen in einem Café in
Südfrankreich und tränken an einem Tisch draußen im Freien einen vorzüglichen
Rotwein, während sie zusahen, wie das Septemberlicht langsam die Baumwipfel
überzog. Dass sich draußen am Rand des Grundstücks ein gleiches Bild bot, kam
seiner Phantasie entgegen.
»Owen würde mich umbringen«, sagte sie.
»Weil sie um vier Uhr nachmittags Wein trinken?«
»So ungefähr.«
»Aber er trinkt doch selbst.« Mike erinnerte sich der zahllosen
Biere, die der Mann allein in seinem Beisein, getrunken hatte.
»Ihm würde das hier gar nicht passen«, sagte sie.
Die zwei Worte, das hier , sagten viel, und
es wunderte Mike, dass Anna sie ausgesprochen hatte. Er wusste nicht mehr
genau, was er eigentlich um diese Zeit hätte tun sollen – mit Anna Quinney Wein
zu trinken, gehörte jedenfalls nicht dazu.
»Sie haben so viel für Silas getan«, sagte sie. »Er blüht richtig
auf an Ihrer Schule. Was mehr könnte sich eine Mutter wünschen? Gerade das
wünscht man sich doch für sein Kind, nicht wahr?«
Sie bemerkte sofort ihren Fauxpas und stellte ihr Glas ab. »Wollten
Sie jemals Kinder?«
»Anfangs, ja«, antwortete Mike, »dann nicht mehr. Ich frage mich
manchmal, ob ich nicht durch meinen Beruf Jugendlichen gegenüber zynisch
geworden bin. Silas ausgenommen natürlich.«
»Und Ihre Frau?«
»Meg.«
»Ich kenne sie nur als Mrs. Bordwin.
Silas hatte sie in der Neunten in Mathe.« Sie lächelte. »Eltern mit
wohlerzogenen Kindern sind unerträglich, stimmt’s?«
»Stimmt«, bestätigte Mike.
»Selbstgefällig.«
»Sehr.«
»Dabei ist eine solche Haltung, gerade wenn es um Kinder geht, immer
gefährlich. Da kann so schnell etwas kippen.«
»Bei Silas stehen Sie auf sicherem Grund.«
»So etwas soll man nicht beschreien«, sagte sie. »Reden wir lieber
von etwas anderem.«
Mike schenkte ihnen beiden nach. Das erste Glas, so glaubte er,
hatten sie zu schnell getrunken, weil sie beide etwas nervös waren. Dieses
zweite Glas, nahm er sich vor, würde er langsam trinken und wirklich genießen.
»Ich sollte eigentlich nicht«, sagte sie. »Sonst bin ich nachher
beschwipst.«
Mike lächelte über das altmodische Wort. »Sie werden der strahlende
Mittelpunkt der Party sein.«
»Ich muss ein straffes Programm
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