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Weil sie sich liebten (German Edition)

Weil sie sich liebten (German Edition)

Titel: Weil sie sich liebten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anita Shreve
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durchziehen.«
    »Sie machen das bestimmt wunderbar.« Und im nächsten Moment
überschritt auch er, wie vorher Anna, eine unsichtbare Grenze. »Sie sind wunderbar«, sagte er.
    Anna errötete wieder, und Mike betrachtete fasziniert ihr Profil.
    Mike hatte schon manchmal beobachtet, wie wenig  es bedurfte, um an die Gefühle einer Frau zu
rühren. Ob das von der Schwäche der Frauen zeugte oder von ihrer Stärke, wusste
er nicht.
    Als Anna sich ihm wieder zuwandte, versuchte sie zu lächeln, aber er
sah ihr die Anstrengung an. Er war sicher, dass sie, wäre er in diesem
Augenblick verschwunden, allein in ihrer Küche geweint hätte.
    Er war nicht sicher, warum.
    Er versuchte nicht, die Situation auszunutzen, sondern ließ ihr
Zeit, sich zu fassen, indem er umständlich eine zweite Zitronenschnitte wählte.
Ihre Augen jedoch waren gerötet, und er wusste, dass sie das ärgern würde, wenn
sie später in den Spiegel sah.
    »Schaut Owen sich ein Zuchtschaf an?«, erkundigte sich Mike, um das
Gespräch in unverfänglichere Bahnen zu lenken.
    »Owen …«, begann sie und presste die Lippen zusammen. Mike wusste,
dass Anna niemals unfreundlich über ihren Mann sprechen würde. Eine andere Frau
hätte vielleicht die Gelegenheit ergriffen, um sich über mangelnde
Aufmerksamkeit, fehlendes Verständnis und ein allgemeines Desinteresse ihres
Mannes an ihren Gefühlen zu beklagen. Nicht Anna.
    »Er muss jetzt bald nach Hause kommen«, sagte sie.
    Mike, der erkannte, dass es eine Warnung war, nickte. Er stand auf,
trank noch einen letzten Schluck und stellte das Glas weg. »Ich gehe jetzt
besser.«
    Mit einer so schnellen Bewegung, dass Mike sie kaum wahrnahm, legte
sie ihre Hand auf die seine.
    Mike empfand diese erste Berührung nicht als elektrisierend,
vielmehr als ein Fließen, das sich in seinem ganzen Körper ausbreitete.
    Er blickte auf ihrer beider Hände, die auf dem Tisch
übereinanderlagen. Er wusste, dass die Geste keine Aufforderung war. Sie war
eine Aussage, auch wenn er nicht recht sicher war, was sie ausdrückte.
    Er verspürte einen flüchtigen Druck, dann zog Anna ihre Hand weg.
»Sie haben so viel für uns getan«, sagte sie. Es klang wie ein Alibi.
    Er wartete, während Anna die Gläser zum Spülbecken trug. Er sah,
dass sie sie sorgfältig spülte, und er wusste, dass sie von Hand getrocknet und
in den Schrank zurückgestellt würden, sobald er gegangen war. Er hatte keine
Ahnung, was sie mit der angebrochenen Flasche Wein tun würde.
    »Viel Glück heute Abend.« Er zog seinen Mantel an.
    »Danke.«
    »Ich komme wieder mal vorbei.«
    Anna blickte durch die offene Tür zum Esstisch mit den wartenden
Häppchen. Als sie sich Mike wieder zuwandte, schien sie einen Entschluss
gefasst zu haben, der ihr wichtig war.
    »Ja«, sagte sie. »Das hoffe ich.«

Ellen
    E inen Moment lang sieht dein Sohn dich
mit einem Blick an, der ganz nackt ist, mit einem Blick, den du bei ihm noch
nie gesehen hast, und dir wird eiskalt dabei.
    »Rob, was ist passiert?«, fragst du.
    Er schließt die Augen. Er wird dir auf deine Frage keine Antwort
geben.
    Hinter dir tritt der Schulleiter ins Zimmer. »Mrs. Leicht«, sagt er.
Du drehst dich herum, und der Mann schreckt irgendwie zusammen, als er dein
Gesicht sieht. Du hast keine Ahnung, was er darin sieht.
    Du bist dem Schulleiter mehrmals begegnet. Bei jeder Begegnung habt
ihr über Rob gesprochen. Du hast Komplimente entgegengenommen. Ihr habt über
das Team oder über das Schuljahr geredet. Du hast vielleicht ein halbes Dutzend
Gespräche mit dem Mann geführt, eins wie das andere.
    »Rob, ich würde gern mit Ihrer Mutter allein sprechen«, sagt der
Schulleiter. »Sie können hier warten. Wir gehen in mein Büro.«
    Dein Sohn ist froh, dass du verschwindest. Er will nicht mit dir in
einem Raum sein. Du kannst es deutlich spüren.
    Du folgst dem Schulleiter in sein Zimmer. Er setzt sich hinter
seinen Schreibtisch, und du begreifst, dass du in dem Sessel vor dem
Schreibtisch Platz nehmen sollst. Dir ist vorher nie aufgefallen, wie blau die
Augen des Mannes sind. Er ist schmächtig, und auch das überrascht dich; bei den
früheren Zusammentreffen wirkte er größer. Er trägt eine Brille, und im schräg
einfallenden Tageslicht ist zu erkennen, dass die Gläser schmutzig sind. Du
fragst dich, warum du diese Details ausgerechnet jetzt bemerkst – jetzt, da du
so viel anderes im Kopf hast.
    »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagt er.
    Du wiederholst die Frage, die du zuvor deinem Sohn

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